»Fürchte dich nicht « - Ostersparziergang auf dem Alten Friedhof in Gießen

Traditionelle Ostergottesdienste sind nach zwei Jahren Pandemie wieder möglich. Doch es werden auch neue Wege beschritten, um sich der Osterbotschaft zu nähern. Auf dem Alten Friedhof darf man das sogar wörtlich nehmen: »Ostern entgegen gehen« lautet der Titel eines kreativen, inspirierenden und tröstlichen Spaziergangs mit sechs Stationen.
Vertragt Euch! Geduld in schwierigen Zeiten. Glaube, Liebe, Hoffnung. Und immer wieder: Frieden. Die Schiefertafel auf dem Tisch wurde schon eifrig genutzt. »Was bleibt? Welche Worte will ich sagen, die weiterklingen?«, lautet die Ermunterung dazu. Die Station der Evangelischen Hochschulgemeinde ist einer Abendmahltafel nachempfunden - oder je nach religiöser und kultureller Prägung einfach einem Abendbrottisch, an dem man in geselliger Runde miteinander sitzt, redet, das Brot teilt.
Spirituelle Momente in der Natur
Beim Spaziergang »Ostern entgegen gehen« auf dem Alten Friedhof kann man ebenfalls ins Gespräch kommen. Über die Osterbotschaft, über Hoffnungen, Trauer, über Ängste und Sorgen, die der Krieg ausgelöst hat. Oder man bleibt für sich und lässt sich von den Ideen der ökumenischen Initiatoren inspirieren. »Hier in der Natur zwischen Bäumen und Erinnerungsstätten kann jeder für sich Momente der Spiritualität entdecken«, sagt Pfarrerin Jutta Becher (ESG).
Wie schon im vergangenen Jahr haben sich die Kirchengemeinden Gießen-Ost gemeinsam mit der Evangelischen Hochschulgemeinde, der Jungen Kirche, dem Katholischen Pfarreienverbund und der Katholischen Jugendzentrale ein Angebot für die Feiertage ausgedacht, das sich sowohl zum Mitmachen als auch für die stille Meditation eignet. Die Besucher können den Leidensweg Jesu vom Einzug in Jerusalem über den Tod am Kreuz bis zur Auferstehung Station für Station mitverfolgen. Dabei, das betonen Pfarrerin Sonja Löytynoja (Wicherngemeinde) und Uta Kuttner (Gemeindepädagogin im katholischen Pfarreienverbund), sei für jeden etwas dabei, man wolle sowohl gläubige und mit der Ostergeschichte vertraute Christen als auch kirchenferne Menschen ansprechen. Auch an alle Altersstufen habe man gedacht.
Die Idee, erinnert Pfarrer Andreas Lohscheidt (Luthergemeinde), sei pandemiebedingt entstanden. Da keine gemeinsamen Gottesdienste möglich gewesen seien, habe man nach neuen Wegen gesucht. Entwickelt habe sich schließlich ein reizvolles Gemeinschaftsprojekt mit vielen Vorzügen: Es biete einen anregenden ökumenischen Austausch im Kollegenkreis, und es sei eine gute Möglichkeit, viele unterschiedliche Menschen anzusprechen. »Es ist ein niedrigschwelliges Angebot, das gut in diese Zeit passt«, ergänzt Kuttner.
Sehnsucht nach Trost und Frieden
Ostern bedeutet Familientreffen, Festmahl, Eiersuche. In Vergessenheit geraten ist dabei in der kirchenfernen Öffentlichkeit, dass es das höchste Fest im Kirchenjahr ist. Der Spaziergang auf dem Alten Friedhof bietet eine neue Art der Annäherung an Sterben, Tod und das Thema Auferstehung.
Da der Krieg in der Ukraine und das damit verbundene Leid allgegenwärtig ist, spiegelt sich auch an den Stationen des Osterwegs die Auseinandersetzung damit. Jesus, so heißt es an der »Kreuzigungs-Station«, sei aus Liebe zu den Menschen gestorben, er trage ihre Ängste, ihre Sorgen, ihre Hoffnungen. Die Besucher werden eingeladen, einen Stein unter das Kreuz zu legen, als Symbol dafür, dass sie ihm ihre Last anvertrauen. »Wir dürfen hoffen, dass mit dem Tod von Jesus nicht alles vorbei ist.« Mit der Auferstehung Jesu, so die biblische Geschichte, wird diese Hoffnung erfüllt. Das leere Grab sowie das Licht am Ostermorgen sehen Christen als Zeichen der Freude und Zuversicht.
Wie empfänglich Menschen jeden Alters für Zeichen der Hoffnung sind, zeigt die Resonanz an allen Stationen. Einladungen, die eigenen Gedanken niederzuschreiben, werden angenommen, und die liebevoll vorbereiteten kleinen Mutmacher in Form von Brotrezepten, Duftsäckchen, Kerzen oder Regenbogen-Anhängern wandern zielsicher in die Jackentaschen der Menschen, die sich ein bisschen Trost wünschen. »Fürchte dich nicht«, spricht der Engel am leeren Grab. In der Düsternis der Welt ist die Sehnsucht nach Zuspruch groß.