Frauentag in Gießen politisch wie selten zuvor
Vielfältige Forderungen und Warnungen vor der neuen Rechten prägen den Frauentag in Gießen. Alte und Junge, Frauen und Männer äußern Sorge um den Erhalt der Freiheit.
Der Paragraf 219a ist besonders groß am Frauentag am Gießener Kugelbrunnen. Doch er bleibt es nicht lange: Aktive des Pro-Choice-Bündnisses greifen zum Besenstiel und zertrümmern die selbstgebastelten Zahlen und den Buchstaben. Aus dem Inneren regnet es Buttons, Flugblätter und Kondome. 150 Menschen johlen und klatschen. Der Flashmob zur Streichung des Strafgesetzbuch-Paragrafen, der »Werbung« für Abtreibung verbietet, gehört zu den Höhepunkten der Aktionen zum Internationalen Frauentag. Der 8. März ist in Gießen so politisch geprägt wie seit Jahren nicht mehr.
»Wir fordern die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen – jetzt!« und »Wir lassen uns vom lahmen Kompromiss der Großen Koalition nicht einlullen« lauten die Botschaften rund um die fantasievolle Kurz-Demonstration. Viele im Publikum – Frauen wie Männer – haben sich Kreuze auf die Wange gemalt, die die Abschaffung des 219a symbolisieren.
Omas gegen Rechts singen Lieder
Schon eine Stunde zuvor sorgen 50 »Omas gegen Rechts« dafür, dass zahlreiche Passanten am Kreuzplatz stehenbleiben. Unter dem Transparent »Wir sind gegen Hass – Omas auf die Gass« singen sie selbst umgedichtete Lieder. Beispiel: »Ja, wir Omas haben Zähne, und die nutzen wir mit Biss. Uns missfällt die rechte Szene und der faule Kompromiss.«
»Es ist wie beim Klassentreffen«, freut sich eine Seniorin über das Wiedersehen mit Mitstreiterinnen aus alten Tagen. Etliche haben schon in den 80er Jahren für das Recht auf Abtreibung demonstriert – andere der jetzt Aktiven waren damals noch gar nicht auf der Welt. Der Hintergrund ist ernst, zeigen die Antworten auf die Frage, was sie nun (wieder) auf die Straße treibt. »Der Druck von rechts nimmt zu, deshalb werden mehr Leute wach«, meint Ursula Passarge, ehemalige Frauenbeauftragte der Stadt Gießen. »Man hat den Eindruck, wir erleben gerade eine Rolle rückwärts«, sagt Martina Klenk. Jutta Steiner sieht die erkämpften Freiheiten und Rechte für ihre Kinder in Gefahr: »Katastrophe!« »Erschütternd« findet Dorothea von Ritter-Röhr, dass die Debatte um den Paragrafen 218 wiederauflebt.
Zonta verteilt Rosen
Auch er – und nicht »nur« der 219a – müsse gestrichen werden, lautet die Botschaft des von linken Gruppen geprägten Bündnisses 8. März. Dessen Demonstrationszug führt am frühen Abend durch die Stadt. »Gegen Sexismus und Rassismus«, »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« oder »Männerbünde zerschlagen« lauten einige der Forderungen.
Begonnen hat der Frauentag am Vormittag mit einem Infostand des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF). Am Mittag beteiligt sich der Zonta Club Burg Staufenberg-Gießen am weltweiten »Rose Day«. Bereits seit 26 Jahren überreichen die Mitglieder alljährlich gelbe Rosen an Frauen, »deren Arbeit erst auffällt, wenn sie ausfällt«. Diesmal sind es die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen in den Kleiderläden des Deutschen Roten Kreuzes. Sie verkaufen die gespendeten Textilien nicht nur, sondern waschen und bügeln sie auch. Weitere Freiwillige werden gesucht; sie können sich direkt in den drei DRK-Läden melden.