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Frauen mit Weitsicht

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Von: Christine Steines

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Karin Solms-Turski, Sigrid Kehm und Christine Wissel (v. l., für das Foto ohne Maske) sind begeistert von den Start-ups, mit denen sie kooperieren. © Oliver Schepp

Menschen, die sich im Weltladen engagieren, blicken über den eigenen Tellerrand hinaus. Das geht gar nicht anders, denn ihre Waren wurden von Menschen in Asien, Afrika oder Südamerika hergestellt. Jedes Projekt hat eine Geschichte, über die man mit den Kunden ins Gespräch kommt. So zieht die Idee des »Fair Trade« Kreise, und die Ehrenamtlichen erfüllen »ganz nebenbei« einen Bildungsauftrag.

Mit den Sonnengläsern hat es angefangen. Karin Solms-Turski hatte sie vor einigen Jahren entdeckt und den Mitarbeiterinnen des Weltladens, der damals noch in der Bismarckstraße war, als neues Produkt vorgeschlagen. Die Frauen waren skeptisch, unter anderem deshalb, weil die Lichter aus Südafrika damals noch nicht zertifiziert waren. Doch die 68-Jährige blieb hartnäckig. Das Ergebnis: Heute ist sie selbst leidenschaftliche ehrenamtliche Mitarbeiterin, und »ihre« Sonnengläser gehören zu den Verkaufsschlagern des Ladens. Kaum ist eine neue Lieferung eingetroffen, ist sie schon wieder vergriffen. Die Gläser wurden als vollwertige Lichtquelle für Menschen in Gebieten ohne Stromversorgung entwickelt, mittlerweile sichert die Produktion 65 Arbeitsplätze.

Solms-Turski stieß zum Weltladen-Team, als das Geschäft 2018 von der Bismarckstraße in die Schulstraße umzog. Da sie ohnehin gerade auf der Suche nach einem neuen Ehrenamt war und ihr die Aufbruchstimmung des Neuanfangs gefiel, blieb sie. »Die Arbeit bedeutet Lebensfreude«, sagt sie.

Und offenbar tut ihr Engagement dem Laden gut. »Sie hat die Bandbreite des Angebots auf wunderbare Weise erweitert«, freut sich ihre Kollegin Sigrid Kehm. Solms-Turski kümmert sich um Auswahl und Einkauf von Kunsthandwerk und hat eine ganze Reihe von Start-ups entdeckt, deren Produkte hier gut ankommen. Kehm: »Sie hat ein Gespür dafür, was unseren Kunden gefällt.« Die jungen, kreativen Unternehmen liegen der Psychologin im Ruhestand in der Tat sehr am Herzen: »Wenn diese Menschen sich in ihrer Heimat eine Existenz aufbauen können, müssen sie nicht auf einem Schlauchboot im Mittelmeer ihr Leben riskieren«, sagt sie. Und auch Projekte, in denen Frauen mit ihren Produkten für ihre finanzielle Unabhängigkeit sorgen, unterstützt sie mit Leidenschaft.

Dabei sind die Waren, die sie einkauft, keine touristische Folklore, die man aus Mitleid kauft, weil es »für einen guten Zweck« ist, sondern sie sind trendiges, stylisches Kunsthandwerk, das originell und nachhaltig zugleich ist. Dasselbe gilt für den Schmuck, den eine Kollegin mit viel Gespür aussucht.

Sigrid Kehm engagiert sich schon seit zwölf Jahren im Weltladen. Bevor sie in den Ruhestand ging, war die gelernte Erzieherin und Bürokauffrau in der Verwaltung des Caritasverbandes tätig. Die 72-Jährige kümmert sich um die Auswahl und den Einkauf der Lebensmittel, und auch sie ist mit großer Begeisterung dabei, wenn sie von ihren nachhaltig produzierten Waren spricht. Die Geschichten und Menschen hinter den Produkten findet sie spannend, und ebenso wie Solms-Turski ist sie beeindruckt von der Kreativität der Handelspartner. Durch die Arbeit im Weltladen lerne man quasi nebenbei eine Menge über politische und gesellschaftliche Strukturen in den Herkunftsländern und könne dieses Wissen auch mit den Kunden teilen. Die Ehrenamtlichen schätzen den Austausch mit den Menschen, die in den Weltladen kommen. »Unsere Kunden und wir sind Multiplikatoren; jedes Gespräch zieht weitere Kreise, das gefällt mir gut«, erklärt Solms-Turski.

Noch relativ neu im Weltladen-Team ist Christine Wissel. Die 66-Jährige war bis vor kurzem als Sozialarbeiterin beim Caritasverband tätig, und auch für sie war immer klar, dass sie die freie Zeit des Ruhestands für Ehrenämter nutzen würde. Sie hat sich schon früher in dem kirchlichen Arbeitskreis »Mission und Frieden« engagiert, und da die Ziele des Weltladens ihren Werten entsprechen, musste sie nicht lange überredet werden.

Derzeit besteht das Team des Weltladens aus 18 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und einer hauptamtlichen Laden- koordinatorin, jede von ihnen setzt eigene Akzente. Es ist eine vielseitige und verantwortungsvolle Arbeit, deren Ausmaß längst nicht in vollem Umfang sichtbar ist. Neben Auswahl, Einkauf, Ein- und Ausräumen, Abrechnungen und einer ansprechenden Dekoration gibt es zahlreiche Tätigkeiten, ohne die der Laden nicht laufen würde.

Corona war auch für den Weltladen ein harter Einschnitt. Viele lieb gewordene Aktivitäten können nicht stattfinden. Die Initiatorinnen bedauern das zutiefst, weil Feste und Diskussionen ein Herzstück des Weltladen-Gedankens sind. Zudem ist das Team geschrumpft: Einige der Studierenden und »alten Hasen«, die lange Zeit dabei waren, stehen nicht mehr zur Verfügung. Verstärkung ist jederzeit willkommen.

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