Frau, Leben, Freiheit

Gießen (lea). 30 Personen, 26 Frauen, 4 Männer: Bereits das Geschlechterverhältnis im Dachsaal des DGB-Hochhauses liefert erste Hinweise auf die darin stattfindende Veranstaltung. Weitere gibt eine Armbinde im Publikum in Grün-Weiß-Rot - den Flaggenfarben des Irans. Referentin Sareh Darsaraee, die stellvertretende Vorsitzende des Ausländerbeirates Marburg, gibt aktuelle Hintergrundinformationen zu den Ereignissen im Iran.
Das Land, erklärt sie, nehme in punkto Gendergerechtigkeit momentan Platz 150 von 156 weltweit ein. Der Körper der Frau sei Eigentum des Mannes. Seit dem Tod Mahsa Aminis am 16. September gebe es landesweite Proteste gegen das Regime. Dabei seien bisher mindestens 470 Menschen getötet und 19 000 Menschen gefangen genommen worden. 85 Prozent der iranischen Bevölkerung seien mittlerweile gegen das Regime. Auch Darsaraees Schwester nimmt im Iran an den Protesten teil: »Ich weiß nicht, ob ich sie wiedersehen werde«.
Aktiv werden
Darsaraee plädiert dafür, lokal aktiv zu werden, an Abgeordnete zu schreiben und für einen Abschiebe-Stopp in den Iran einzutreten. Studierende aus Nicht-EU-Ländern müssen in Deutschland nachweisen, dass sie über 11 000 Euro verfügen, um ihr Studium ein Jahr lang finanzieren zu können. Dies gelte auch für Studierende aus dem Iran. In der momentanen Zeit der Proteste und Unsicherheiten sei es für deren Angehörige schier unmöglich, eine solche Summe bereitzustellen. Außerdem sinke der Wert des Iranischen Rials seit September massiv. »Iranische Studierende sollen weiter studieren können, ohne durch die Kontrolle des Finanznachweises unter Druck gesetzt zu werden«, fordert Darsaraee.
Auch das Teilen und Unterschreiben von Petitionen könne etwas bewirken. Im Iran werde wegen »Kriegsführung gegen Gott« das Todesurteil verhängt. »Eine Unterschrift kann das Schicksal eines Menschen beeinflussen«, sagt Darsaraee. »Das Jahr darf nicht mit dem Tenor enden, dass wir eh nichts machen können!«. Im Dachsaal des DGB-Hochhauses zumindest scheint diese Befürchtung unbegründet: Eine Lehrerin macht auf die Möglichkeit aufmerksam, sich am Amnesty-Briefmarathon zu beteiligen und sich so für die Freilassung eines im Zuge der Demonstrationen festgenommenen Iraners einzusetzen. »Ich nehme auch mit meinen Klassen daran teil«, erzählt sie.
Lilia Joo Chang erklärt: »Ich komme aus Südamerika und bin in der Community vernetzt. Wir sind bereit, die Frauen in Iran zu unterstützen!« Einige aus dem Publikum äußern den Wunsch, schon früher von Demonstrationen zu erfahren. »Es ist unsere erste Revolutionserfahrung«, sagt Darsaraee dazu. Deshalb fänden immer samstags die Demonstrationen statt, die Planung für die am darauffolgenden Samstag folge dann am nächsten Tag.
Vergleichen?
Mehrere Stimmen im Publikum ziehen Parallelen zu anderen Revolutionen: So wird die russische Revolution angesprochen, die ebenfalls »von unten« begonnen wurde und im leninistisch-stalinistischen Terror mündete. Auch der Vergleich mit Revolutionen, die mit einem Militärregime endeten, wird angebracht.
Darsaraee sagt dazu, dass die Revolution im Iran noch sehr jung sei - gerade mal 71 Tage. Und dass alle Revolutionstheorien, die sie während ihres Politikstudiums lernte, bei der Revolution im Iran nicht greifen würden. Denn: »Ihnen fehlten die Frauen«.