Francesco Arman (Die Linke) will in Gießen hauptamtlicher Dezernent werden

Crack-Welle, Obdachlosigkeit, Stromsperren und Gentrifizierung - es liegt einiges im Argen in Gießen. Im Gespräch mit der Gießener Allgemeinen Zeitung erklärt der ehrenamtliche Sozialdezernent Francesco Arman (Die Linke), was er in diesen Bereichen bereits unternommen hat - und macht eine wichtige Ankündigung
Herr Arman, Sie hatten einmal gesagt, dass Sie die Stimme der Lobbylosen sein wollen. Sind Sie diesem Anspruch im vergangenen Jahr als ehrenamtlicher Sozialdezernent der Stadt gerecht geworden?
Ich würde mich immer noch als die Stimme für die Lobbylosen sehen. Weil mir gerade die Obdachlosenhilfe sehr wichtig ist und auch viele andere soziale Bereiche. Der Wohnungsmarkt liegt mir natürlich ebenfalls am Herzen. Aber es gibt viele Gesetze, die auf Bundes- oder Landesebene liegen, und die kann ich nicht einfach ändern.
Vor Kurzem machten Sozialarbeiter auf Probleme der Crack-Szene unter der Sachsenhäuser Brücke aufmerksam. Die Stadt reagierte, schloss den Treffpunkt und verdrängte die Drogen-Konsumenten. Können Sie das als Lobbyist dieser Menschen verantworten?
Die Verdrängung war eine Maßnahme, die nötig war. Jeder Mensch hat natürlich das Recht, sich hier in Gießen zu bewegen - egal, wer er ist. Es wird aber problematisch, wenn Formen von Fremd- oder Eigengefährdung entstehen. Da müssen wir dann handeln: sozialpolitisch und sozialpädagogisch - aber auch ordnungspolitisch.
Verdrängung hat immer etwas von »Aus den Augen, aus dem Sinn«.
Es kam ja nicht einfach nur zu einer Verdrängung, und jetzt weiß die Straßensozialarbeit und die Polizei nicht mehr, wo die Menschen sind. Sozialarbeiter haben die Schließung ganz eng begleitet und begleiten die Menschen auch weiterhin. Es ist ganz wichtig, dass dieser Kontakt besteht. Denn man kann die Süchtigen nur durch eine Beziehungsebene erreichen, und eine Beziehung kann nur da entstehen, wenn man in Kontakt miteinander tritt.
Wie man Crack-Süchtigen effektiv helfen kann, ist eine offene Frage, vor der Frankfurt bereits seit Jahren steht. Welche Ideen haben Sie für die nahe Zukunft in Gießen?
Ein Pfeiler wäre, dass das Café im Suchthilfezentrum, das wegen Corona geschlossen wurde, wieder öffnen würde. Der zweite Pfeiler ist der Trägerverband Sucht, den wir initiiert haben. Das ist ein Runder Tisch, der jetzt wieder regelmäßig tagt und an dem Akteure vom Suchthilfezentrum, der Awo, der Diakonie und auch eine Ärztin zusammenkommen. Dort beschäftigen wir uns genau mit dieser Fragestellung.
Lassen Sie uns über den Wohnungsmarkt sprechen. Die Stadt hatte es sich zum Ziel gesetzt, bis 2026 1150 neue Sozialwohnungen zu schaffen. Bis 2021 sollten es 400 sein - was bis heute nicht erreicht wurde. Das Ziel für 2026 ist nicht mehr einzuhalten, oder?
Ich würde sagen, der Weg ist das Ziel. Wir tun alles dafür, es schnellstmöglich zu erreichen. Aber den Krieg, die Inflation oder den Handwerkermangel konnte niemand voraussehen. Desweiteren haben Planungsprozesse viel länger gedauert, als wir dachten.
Hat die Stadt zu sehr auf das Mittel der Sozialquote gesetzt, um mehr Sozialwohnungen durch den privaten Sektor zu erhalten? Muss man diesen Weg nun hinterfragen?
Es ist zumindest ein Instrument, das leider zurzeit aufgrund der geringen Bautätigkeit nicht greift. Aber entsprechende Bauvorhaben mit einer sozialen Quote sind aktuell weiterhin in Planung.
Kann die Kommunalisierung von Privatimmobilien - Stichwort: »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« - eine Lösung sein?
Was ich mir in diesem Zusammenhang wünsche, wäre, dass es private Wohnungseigentümer geben würde, die zu einem sozialverträglichen Preis ihr Anwesen verkaufen möchten. Und dass es dann einen Käufer gibt, der das auch bezahlen kann, um dann dieses Anwesen weiter sozialverträglich zu vermieten. Solche Modelle gibt es, und so etwas kann ich mir auch für Gießen vorstellen.
Sie sind in die Kritik gerate, weil Sie im Zusammenhang mit als besonders dreist empfundenen Renditetricks von Investoren mehrmals von »Einzelfällen« gesprochen haben. Halten Sie an dieser Einschätzung fest?
Also in einem Fall ging es dabei um einen Ebay-Verkäufer, der dort Renditetricks gegeben hatte. Dass das jemand so macht, ist meiner Recherche zur Folge in Gießen ein Einzelfall gewesen. Meines Wissens wurde die Anzeige auch wieder runtergenommen.
Dann ging es aber auch um die Luxussanierungen von Studentenhäusern, die als möblierte Lofts angeboten und anschließend zu einem viel höheren Preis vermietet werden.
Ja. Da gibt es mehrere Investoren, die das in Gießen machen, das sehe ich auch. Aber ich würde das trotzdem nicht als systemisch bezeichnen, weil es in Gießen nicht in dem Maße systematisch stattfindet, dass ganze Milieus aus Quartieren verdrängt werden.
Woher wissen Sie das eigentlich? Überwacht die Stadt kontinuierlich den Wohnungsmarkt, die Nachfrage und das Auftreten von Investoren?
Ja, wir haben Mitarbeiterinnen, die sich damit beschäftigen und entsprechende Erkenntnisse zusammentragen. Wir haben in dem Zusammenhang auch vor, am Amt für soziale Angelegenheiten eine weitere Stelle zu schaffen, die sich noch einmal explizit mit dem Thema Wohnen beschäftigen wird. Ansonsten wollen wir dieses Jahr übrigens die Ombudsstellen angehen.
Eine Stelle, an die sich Gießener Mieter bei Problemen wenden könnten.
Genau, aber man darf eine Ombudsstelle nicht mit dem Mieterverein verwechseln. Die Ombudsstelle ist eine ganze niederschwellige Anlaufmöglichkeit, an die sich Mieterinnen und Mieter wenden können, wenn es zu Problemen kommen sollte. Die Ombudsleute können zum Beispiel dabei unterstützen, Kontakt mit dem Vermieter aufzunehmen. Desweiteren können die Ombudsmänner und -frauen auch Tipps geben, wie sich an den besagten Mieterverein zu wenden, oder andere Institutionen empfehlen.
Ein Problem, das viele Mieter betrifft, sind die Energiekosten. Auch um Stromsperren zu verhindern, wurde von der Stadt ein Härtefallfonds versprochen. Kritiker beklagen, dass die Arbeit daran zu lange dauern würde. Es wird vermutet, dass der Fonds erst im Herbst greifen könnte.
Die Ausarbeitung der Richtlinie wird definitiv nicht bis Ende 2023 dauern, die wird jetzt im Frühjahr da sein. Das Geld ist im Haushalt auch bereits eingestellt, es kann dann direkt losgehen. Aber eine Richtlinie müssen wir erst einmal aufstellen. Ohne sie geht es nicht.
Die Zahl der Stromsperren durch die SWG war zuletzt rückläufig. Rechnen Sie dieses Jahr wieder mit einem Anstieg?
Ich hoffe, dass es weniger Sperren werden. Das Wichtigste ist, und das habe ich auch schon im Ausschuss erläutert, die Erkenntnis, dass Kommunikation die Sperren verhindert. Die Menschen müssen ihre Post öffnen und kommunizieren.
Menschen, die das nicht können, zum Beispiel weil sie psychische Probleme haben, bleiben dabei auf der Strecke. Warum fordern Sie von der Stadttochter SWG nicht, dass das Mittel der Stromsperren nicht mehr angewandt wird?
Ich möchte, dass die Stromsperren weitestgehend verhindert werden. Das ist ja die Utopie, dass es keine Stromsperren mehr gibt. Aber es gibt auch den »vergesslichen« Professor oder die verpeilte WG, die doch eigentlich bezahlen könnten.
Sind all diese sozialen Probleme in Gießen von einem Ehrenamt aus eigentlich überhaupt sinnvoll zu bewältigen?
Es ist manchmal ein Balanceakt, aber ich gebe ganz schön viel und ich mache viele Überstunden.
Bald wird eine Stelle als hauptamtlicher Dezernent frei, werden Sie sich darauf bewerben?
Ja, das werde ich.
Sie sind nun etwas über ein Jahr Sozialdezernent. Was für Lehren haben sie über diese Position in der Zeit gezogen?
Wenn ich eines gelernt habe in dem Job, dann ist es, dass Vernetzung das A und O ist. Zum anderen aber auch, dass soziale Arbeit immer ein wenig unterbelichtet ist. Ich finde, hier wird sehr wertvolle Arbeit gemacht. Aber es gibt nicht wirklich ein öffentliches Interesse daran - außer wenn etwas schiefläuft.
Zur Person;
Francesco Arman ist 1978 in Berlin geboren. Mit 17 Jahren kam er nach Gießen und studierte Soziale Arbeit. Er engagiert sich unter anderem in der Aufklärungsarbeit über Antiziganismus und ist Vorsitzender des ersten Studierendenverbandes der Sinti und Roma in Deutschland. Arman arbeitete zeitweise im Frankfurter Bahnhofsviertel in einem Drogenkonsumraum und als Erzieher in einer Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt. Arman ist verheiratet und hat zwei Söhne. Seit 2015 ist er Mitglied der Partei Die Linke und hat Stadtgeschichte geschrieben: Er wurde 2021 Gießens erster Stadtdezernent, der aus dieser Partei stammt.
Eibelshäuser-Nachfolge auf dem Weg
Zum 1. September scheidet SPD-Stadträtin Astrid Eibelshäuser aus dem Magistrat aus. Mit der Veröffentlichung einer Stellenausschreibung hat die Stadt nun eine weitere Weiche für die Nachbesetzung gestellt. Gemäß der Vereinbarung der grün-rot-roten Koalition fällt der Dezernentenposten an die Gießener Linke. Als erster Anwärter auf das Hauptamt gilt der amtierende Sozialdezernent Francesco Arman, der diese Funktion seit gut einem Jahr ehrenamtlich ausübt und nun seine Bewerbung offiziell gemacht hat. In die Zuständigkeit des Erziehers fallen bislang das Amt für soziale Angelegenheiten und die stadteigene Wohnbau, deren Aufsichtsrat er führt. Ob und welche Zuständigkeiten im Fall seiner Wahl durch das Stadtparlament hinzukommen, wird OB Frank-Tilo Becher zum 1. September entscheiden. Zum Dezernat III gehören bislang die Schulen, die Ausländerbehörde und die Städtepartnerschaften. Mit der Zuständigkeit für die Schulen ist die für das Hochbauamt und den Denkmalschutz verbunden. Eibelshäuser, die 2011 ins Amt kam und im August 64 wird, trägt nicht nur die Verantwortung für den Schulbau, sondern auch für Großprojekte wie den neuen Feuerwehrstützpunkt und den Umbau der Kongresshalle.