Fliegender Dirigentenwechsel

Das Forum Dirigieren ist zu Gast im Stadttheater. Vier Nachwuchskräfte versuchen sich an drei romantischen Opern. Einblicke in die Kunst des feinen Klangs.
Es geht um die Details, um Facetten. Dann aber auch ums Große. Und ums Ganze. Nicht so einfach, alles mit Fingerspitzengefühl und gleichzeitigem Nachdruck unter einen Hut zu kriegen. Schon gar nicht, wenn das Thema »Große Oper« heißt. Das Forum Dirigieren mit Sitz in Bonn veranstaltete in der vergangenen Woche am Stadttheater einen Meisterkurs für vier junge Dirigenten.
Generalmusikdirektor Andreas Schüller nahm den Nachwuchs am Pult unter seine Fittiche. Den Höhepunkt und Abschluss mit Solisten und Choristen des Theaters sowie dem Philharmonischen Orchester Gießen bildete am Sonntag ein Konzert im Großen Haus, dem es leider an Publikum mangelte.
Dabei werden in den anderthalb Stunden, die Schüller launig moderiert, konzertante Auszüge aus gleich drei romantischen Opern geboten. Das Ende des dramatischen zweiten Akts von Puccinis »Tosca«, die dämonische Wolfsschluchtszene aus Webers »Freischütz« sowie nach der Pause die unvergleichliche Ouvertüre mitsamt den ersten beiden Arien aus Wagners »Fliegendem Holländer«. Als Gesangssolisten stehen Julia Araújo (Sopran), Clarke Ruth (Bass), Grga Peroš (Bariton), Beau Gibson (Tenor) und Tomi Wendt (Bariton) bereit.
»Die Dirigenten haben hier die Möglichkeit, sich an anspruchsvollen Themen auszuprobieren«, erklärt Schüller. Sie dürfen Rezitative, Arien, Duette und Chornummern mit einem Orchester einstudieren. »Wann hat man dazu im Studium schon Gelegenheit?« Antwort: Fast nie. Schüller kennt das Metier: »20 Jahre ist es her, dass ich selbst Stipendiat des Forums war. Nun darf ich meine Erfahrungen an junge Studierende weitergeben.« Das Projekt sei für ihn eine »Herzensangelegenheit«, betont er am Sonntag und ist am Ende sichtlich stolz auf den Nachwuchs.
Die Teilnehmer des Kurses sind Simon Edelmann (Assistant Conductor, Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz), Annalena Hösel (Studentin und Lehrbeauftragte, Hochschule für Musik Detmold), Artem Lonhinov (freiberuflicher Dirigent) und Kens Lui (Korrepetitor, Theater und Orchester Heidelberg).
Die vier sind Experten mit Potenzial. Und eigenen Ansichten. »Ich bin ein riesen ›Freischütz‹-Fan«, sagt Hösel, die am Pult einen erfahrenen Eindruck macht, aber prächtig aufgeregt wirkt. Ihr Berufsziel: »Kapellmeisterin werden.«
Lui favorisiert den Wagner: »Die Musik strahlt echte Dunkelheit aus, dennoch muss man versuchen, Leichtigkeit herzustellen.« Lonhinov, beim Dirigat noch etwas hüftsteif, bekennt: »Spannend finde ich, dass die drei Werke und die einzelnen Szenen so unterschiedlich sind.« Und für den ehrgeizigen Edelmann gilt: »Hier reihen sich viele Schwierigkeiten aneinander, die bewältigt werden müssen.« Ein »Sieger« in diesem Wettstreit wird freilich nicht gekürt.
Geduldiger Klangapparat
Bei den Orchesterproben ging es am Freitagabend um die Feinheiten. Die jungen Dirigenten legen sich ins Zeug. Auch mit ihren Anweisungen an die Musiker. »Noch mal ab Ziffer sieben.« - »Mit Aufstrich, bitte.« - »Ein bisschen mehr Bogen nehmen.« - »Die letzten drei Takte impulsiver.« Und beim Holländer, wenn er aus den Fluten steigt: »Die Welle schlüssiger anschließen.«
Das Orchester gibt den geduldigen Klangapparat und lässt sich selbst bei der fünften Wiederholung nichts anmerken. Am Sonntag beim Konzert dann ist das Ergebnis erstklassig.
Die Nachwuchsdirigenten übernehmen reihum den Taktstock. So etwas sieht man nicht alle Tage, wenn Berthold Cremer am Horn einen finalen Ton extra lange hält, damit am Pult mitten im »Fliegenden Holländer« der fliegende Dirigentenwechsel gelingt.
Bei den Sängern sticht Grga Peroš heraus. Der Bariton drückt schon in den Proben bei seiner Eröffnungsarie als Holländer derart auf die Tube, dass er vom Orchester mit Applaus bedacht wird. Am Sonntag ist er der Sänger mit der größten Strahlkraft. Er erntet Bravorufe aus dem Publikum. Sein erster kompletter Wagner sollte nicht mehr weit sein.