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Familiendiagnose Krebs

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Von: Christine Steines

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Plädoyer für einen offenen Umgang mit Krebs: »Mama ist krank, aber wir malen uns trotzdem schön an!« © Red

Wenn Vater oder Mutter an Krebs erkranken, ist das eine dramatische Veränderung im Leben eines Kindes. Die Diagnose trifft die ganze Familie. Wie wichtig es ist, die Ängste der Kinder wahrzunehmen, verdeutlicht die Psychotherapeutin Sabine Brütting. Sie rät zu einer offenen und ehrlichen Kommunikation.

Eine Krebsdiagnose zieht jedem Menschen den Boden unter den Füßen weg. In einer Familie ist aber nicht nur der Erkrankte betroffen, sondern alle: Kinder und Erwachsene leiden unter Ängsten und Unsicherheit, nichts ist, wie es einmal war. Darüber sollte man unbedingt miteinander sprechen, sagt die Psychotherapeutin Sabine Brütting. »Eine offene, ehrliche und altersgemäße Kommunikation hilft allen«, sagte sie bei einem Vortrag, zu dem der Gießener Verein »Rückenwind« gemeinsam mit dem Marburger Verein »Löwenmutkids« eingeladen hatte. Brütting, die seit vielen Jahren in Frankfurt und Wiesbaden mit Kindern arbeitet, deren Eltern an Krebs erkrankt sind, verdeutlicht, wie dringend Mädchen und Jungen in einer solchen Situation Unterstützung brauchen. Kinder und Jugendliche, so ihre Erfahrung, fühlen sich oftmals allein gelassen.

Die Eltern seien - verständlicherweise - mit sich selbst beschäftigt, zudem wollten sie die Kinder vor Kummer bewahren, sie bemühten sich, eine heile Welt aufrechtzuerhalten. »Das funktioniert aber nicht, denn diese heile Welt gibt es nicht mehr«. Kinder spürten dies, selbst kleine Kinder nähmen veränderte Stimmungen deutlich wahr. Wenn die Krankheit tabuisiert werde, bestehe die Gefahr, dass die Kinder das Schweigen auf sich bezögen und Schuldgefühle entwickelten. Auch im Umfeld fänden die Bedürfnisse der Kinder häufig zu wenig Berücksichtigung. Behandelnde Ärzte beispielsweise seien auf die Therapie ihrer Patienten fokussiert, die Familiensituation sei ihnen in der Regel gar nicht bekannt.

Umso wichtiger sei es, dass die Betroffenen Hilfe »von außen« bekämen, z. B. durch Vereine wie »Rückenwind«. Deren Initiatorin Anika Kühn ist selbst vor einigen Jahren erkrankt und hat aufgrund ihrer Erfahrungen beschlossen, Familien in ähnlichen Situationen zu unterstützen. »Ich weiß, wie zerbrechlich das Leben ist und wir sehr man Zuspruch gebrauchen kann«. Für die Kinder sei es oft hilfreich, wenn sie Ansprechpartner außerhalb der Familie hätten. Zudem stärke der Austausch mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Im Verein »Rückenwind« gehen Ehrenamtliche in die Familien, aber es finden auch Freizeitaktivitäten statt. »Die Kinder sollen Spaß haben, sie sollen lachen und sich freuen können«, sagt Kühn.

Das sieht auch Brütting so. 150 000 bis 200 000 Kinder seien in Deutschland in jedem Jahr betroffen. Die Therapeutin verweist auf Studien, denen zufolge Kinder krebskranker Eltern einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, psychische Erkrankungen zu entwickeln - oftmals zeigten sich Angststörungen und Depressionen erst viele Jahre später.

Häufig Spätfolgen für Kinder

Doch es gebe auch eine positive Botschaft: »Kinder werden nicht zwangsläufg traumatisiert, sie können auch an diesen Erfahrungen wachsen«, erklärt Brütting. Entscheidend sei, dass sie die Aufmerksamkeit bekämen, die sie in einer solchen Lebenskrise benötigten. »Die Kinder wollen kein Mitleid, aber sie wollen wahrgenommen und gesehen werden«. Wie viel Offenheit angebracht sei und wie man sich dem Thema nähere, sei abhängig vom Alter und individuell unterschiedlich, eines gelte jedoch grundsätzlich: Kommunikation sei unerlässlich. Stattdessen gebe es häufig ein Bündnis des Schweigens, um einander zu schonen. Doch wenn nicht mit den Kindern darüber gesprochen werde, was mit Mama oder Papa los sei, verlören sie das Vertrauen in ihre Eltern. Besser sei es, die Kinder einzubinden - und z. B. mit ihnen über den Verlust der Haare, über Müdigkeit oder Übelkeit zu reden. Mutter und Vater sollten ehrlich sein, aber gleichzeitig behutsam vorgehen, um das Kind nicht zu überfordern, rät Brütting. Diese Gefahr bestehe nicht nur bei kleinen Kindern, sondern auch bei Pubertierenden. Häufig übernähmen diese die Rolle von pflegenden Angehörigen und muteten sich viel zu viel zu. Den einen, richtigen Weg, eine solche Lebenskrise zu überstehen, gibt es nicht. Wichtig sei die Erkenntnis, dass es eine gute Idee sei, sich Hilfe zu holen - beispielsweise bei »Rückenwi nd«.

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