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»Europa darf Belarus nicht vergessen«

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Iryna Ramanava Professorin EHU Vilnius © Red

Gießen (pm). Die gemeinsame Geschichte beider Länder ist wechselvoll und eng miteinander verknüpft. Dennoch war Belarus für viele Menschen in Deutschland lange ein nahezu unbekannter Fleck auf der Landkarte. Erst die Bilder in den Medien von der weiß- rot-weißen Revolution und den brutalen Übergriffen in Minsk im Jahr 2020 rückten das Land wieder stärker in den Fokus.

Zwei Semester lang Veranstaltungen

Umso wichtiger ist es auch nach Ansicht Gießener Wissenschaftler und Forscher, dass das osteuropäische Land, dessen Staatsgrenze unter anderem sowohl an die Ukraine als auch an Russland grenzt, in Forschung, Lehre und in der Öffentlichkeit präsent bleibt.

In den kommenden beiden Semestern wird der Belarus-Schwerpunkt am Gießener Zentrum östliches Europa (GiZo) der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) erneut durch eine DAAD-Gastdozentur von Prof. Iryna Ramanava von der Europäischen Humanitären Universität in Vilnius (EHU) - der belarusischen Universität im Exil - unterstützt. Die Europäische Humanitäre Universität EHU wurde 1992 als eine liberale Hochschule in Minsk gegründet, aber 2004 aus Belarus ausgeschlossen. Mit internationaler Unterstützung und auf Einladung der litauischen Regierung fand sie 2005 ihr neues Zuhause in Vilnius.

Prof. Ramanava ist auf dem Gebiet der osteuropäischen Zeitgeschichte und insbesondere auf dem Gebiet des Stalinismus eine international anerkannte Forscherin. Die Historikerin hatte von Oktober 2021 bis September 2022 schon einmal in Gießen gelehrt. Ihre Lehrveranstaltungen an der JLU zur belarusischen Geschichte und ihre Kurse zur belarusischen Sprache wurden dankbar angenommen.

Aufgrund der Repressionen gegen die weiß-rot-weiße Revolution in Belarus und vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine wurde ihre durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderte Dozentur nun verlängert. Die Dozentur ist der »Zeitenwende in Osteuropa« gewidmet.

Auslandserfahrung in Vilnius im Herbst

»Europa darf Belarus nicht vergessen«, appelliert Prof. Ramanava. Zum besseren Verständnis der Geschichte und der Kultur des Landes hatte sie bereits bei ihrem ersten Aufenthalt an der JLU einen wichtigen Beitrag geleistet: Gießener Studierende besuchten zwischenzeitlich eine Sommerschule an der belarusischen Exiluniversität in Vilnius und werden im kommenden Herbst im Rahmen des Erasmus-Programms dort ein Auslandssemester absolvieren. »Es ist wichtig, vielfältige Perspektiven auf Belarus und die osteuropäische Geschichte zu kennen und zu vermitteln. Daher freue ich mich sehr auf meine erneute Lehrtätigkeit an der JLU«, sagt die Historikerin. Gemeinsam mit ihrem Gastgeber Prof. Dr. Thomas Bohn, Osteuropa-Experte vom Historischen Institut der JLU, plant sie außerdem eine Reihe von Kulturveranstaltungen zu Belarus - »damit das Land nicht in Vergessenheit gerät«.

Zum Semesterauftakt wird Prof. Ramanava am 18. April im Historischen Institut im Kolloquium der Fachdidaktik einen Vortrag über die Rolle des Geschichtsunterrichts in belarusischen Schulen und Universitäten halten. Für den 1. Juni steht eine Tagung zur vergleichenden Diktaturenforschung auf dem Programm, die von einer Lesung des belarusischen Schriftsteller-Paares Julia Cimafiejeva und Alherd Bacharewitsch (Alhierd Bacharevic) begleitet wird.

Lektürekurs Belarusisch

Im Sommersemester bietet Prof. Ramanava zudem eine Vorlesung über die Geschichte der Perestroika, ein Seminar über die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und eine Übung zum Stalinismus an. Außerdem steht ein Lektürekurs Belarussisch für Anfängerinnen und Anfänger auf dem Programm.

Prof. Dr. Iryna Ramanava hat am Institut für Geschichte der belarusischen Akademie der Wissenschaften in Minsk promoviert und ist Professorin für Geschichte an der Europäischen Humanistischen Universität in Vilnius (EHU). Sie befasst sich in ihren Forschungsarbeiten unter anderem mit dem Verhältnis zwischen Autorität und Gesellschaft in der Zeit des Stalinismus und in den Jahren danach, mit besonderem Schwerpunkt auf dem Alltagsleben. Die Historikerin war Gastwissenschaftlerin am Institute of Slavic, East European and Eurasian Studies an der University of California, Berkeley, an der Fondation Maison des Sciences de l’Homme in Paris sowie Gastprofessorin am Centre d’histoire de Sciences Po, ebenfalls in Paris, sowie am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Weitere Infos: https://www.uni-giessen.de/fbz/fb04/institute/geschichte/osteuropa. FOTO: PRIVAT

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