Ernährungswende hausgemacht

Während in Berlin die Agrarminister über nachhaltige Ernährung grübeln, werden viele Akteure auf lokaler Ebene einfach selbst aktiv. Auch in Gießen gibt es eine Vielzahl von Initiativen, die das Thema in die Hand nehmen. Gelegenheit zum Vernetzen und Kennenlernen bot jetzt die Veranstaltung »Ernährung neu gestalten«.
Dicht gedrängt stehen die Besucher im Pausenraum des Rathauses. Ohne ein »Entschuldigung, kann ich vorbei?« kein Durchkommen mehr. Grund ihres Kommens: Das Netzwerktreffen »Unsere Ernährung neu gestalten. Besser heute als morgen«, das die Justus-Liebig-Universität, die Stadt Gießen und der Ernährungsrat gemeinsam veranstalteten. Beim »Markt der Möglichkeiten« wiesen lokale Initiativen auf nachhaltige Ernährungsmöglichkeiten hin.
Vor einem Stand sind Gläser mit eingemachtem Obst aufgebaut. Die Rezepte für die Lebensmittel, die darin haltbar gemacht wurden, entstammen dem »Streuobstkochbuch«. Im Frühjahr 2022 hat es die Arbeitsloseninitiative herausgebracht. Auch Koch Tim Uwe Fago hat verschiedene Gläser mitgebracht: In jedem »Regioglas« steckt ein Gericht aus regionalen Lebensmitteln, das mit Ökostrom produziert wurde.
Spielerisch erfahren, was Saison hat
Der Stand der Solidarischen Landwirtschaft Gießen und Marburg hat ein kleines Spiel dabei: Aus Tonpapier ausgeschnittene Tomaten, Kürbisse und Karotten sollen auf einem Kreis den Monaten zugeordnet werden, in denen sie reif oder noch haltbar sind. In Zeiten, in denen alles jederzeit im Supermarkt erhältlich ist, gar nicht so einfach.
Während in Berlin die Grüne Woche stattfindet, die »aktuellen gesellschaftlichen Fragen wie Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung und nachhaltiger Landnutzung eine Bühne gibt«, bietet das Netzwerktreffen der Justus-Liebig-Universität, der Stadt Gießen und des Ernährungsrates genau diesen Themen Raum - auf kommunaler Ebene.
Der »Markt der Möglichkeiten« mündet in den zweiten Teil der Veranstaltung im Hermann-Levi-Saal, der aus verschiedenen Vorträgen besteht. Den Anfang machte Susanne von Münchhausen. Mithilfe des Bildes der Bewohner Entenhausens macht sie deutlich, dass die Ernährungswende mit der Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure gelingen kann.
Bei den folgenden Impulsvorträgen ist »Essen in Mensen und Kantinen« das zentrale Thema. Zunächst stellt Stadträtin Astrid Eibelshäuser eine Bestandsaufnahme vor. 2700 Kinder in Kitas, 1700 in Grundschulen und 3500 in weiterführenden Schulen, also insgesamt 7000 Kinder in Gießen, würden mit Mensaessen erreicht. Sie nennt unterschiedliche Aspekte gemeinsamen Essens, zum Beispiel den gesundheitspolitischen - die Caterer sollten die Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung umsetzen - und den agrar- und klimapolitischen Aspekt; Nahrungsmittel sollten regional und saisonal sein. Im Hinblick auf den letzten Punkt verweist sie auf das Pilotprojekt Nah.Land.Küche, das bereits an der Herderschule und der Grundschule West umgesetzt wird.
Eine der nächsten Rednerinnen, Marie-Charlotte Zeibig, knüpft an dieser Stelle an und stellt eben jenes Projekt näher vor. Nah.Land.Küche wurde im Sommer 2021 gegründet und soll über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren die Anteile bioregionaler Lebensmittel in der Region Lahn-Dill-Gießen merklich erhöhen. Sechs Großküchen und acht Schulen sind bereits Teil des Projekts. Zur Zeit ist der Umstieg auf bioregionale Lebensmittel mit drei Schwerpunktprodukten gelungen: mit der Dinkelvollkornnudel, der Kartoffel und dem Kürbis. Probleme bestanden bei den letzten beiden darin, dass Kartoffeln häufig nur vorverarbeitet angefragt werden und die Ernte der Kürbisse letztes Jahr schlecht war.
Als nächstes Produkt soll noch in diesem Jahr die Karotte hinzugewonnen werden.
Ein weiteres Ziel besteht darin, Kinder an die Landwirtschaft heranzuführen. So gab es schon Betriebsbesichtigungen in einem der Projektbetriebe oder ein Lernmodul zu Getreidearten.
Janina Brendel, Koordinatorin für kommunale Entwicklungspolitik, stellt das Projekt »Nachhaltig satt« vor, das ebenfalls Kinder für nachhaltige Ernährung sensibilisieren möchte. Es wandte sich an Schüler der dritten Klasse und erreichte rund 100. Wert wurde darauf gelegt, Vorteile einer vegetarischen Ernährung aufzuzeigen und die Kinder auf die richtige Portionsgröße achten zu lassen.
Kindgerechte Annäherung
Durch kindgerechte Spiele und Videos wurde zum Beispiel vermittelt, wie CO2 funktioniert, bei einem Parcour ging es darum, Lebensmittel mit allen Sinnen wahrzunehmen. Auch Recherchen in Supermärkten vor Ort gehörten dazu, bei denen einzelne Siegel näher betrachtet wurden. Brendel erreichte von Familien das Feedback: »Wir haben noch nie so viel übers Essen gesprochen.«
Ein Folgeprojekt zu »Nachhaltig satt« ist bereits geplant. Am 23. Februar findet das erstes Treffen von »Nachhaltigkeit genießen - gutes Essen für große und kleine Weltverbesserer und wie man darüber redet« statt. Teilnehmer werden noch gesucht.
