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Erleichterung im Seltersweg: Karstadt bleibt

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Geschäftsführer Lothar Schmidt ist die Erleichterung anzusehen. © SCHEPP

52 der noch verbliebenen 129 Karstadt-Filialen werden schließen - Gießen gehört nicht dazu. Diese freudige Nachricht hat am Montagmittag die Belegschaft aus dem Seltersweg erhalten. Damit endet zumindest vorerst eine lange Hängepartie. Gleichzeitig soll der Standort verändert werden. Damit sind auch traurige Einschnitte verbunden.

Um 14.02 Uhr wird der Karstadt-Eingang im Seltersweg dichtgemacht. »Wegen Betriebsversammlung geschlossen« ist auf einem Schild zu lesen. »Öffnen Sie denn gleich wieder?«, wird eine Mitarbeiterin am Eingang gefragt. Das wisse sie nicht, entgegnet die Karstädterin mit einem Lächeln. »Das kommt darauf an, was wir gleich in der Betriebsversammlung erfahren.« Eine knappe halbe Stunde später haben nicht nur die vor der Tür wartenden Kunden, sondern auch die Mitarbeiter Gewissheit. Die Türen gehen wieder auf, der Gießener Karstadt ist gerettet.

Der Konzern Galeria-Karstadt-Kaufhof ist ein strauchelnder Riese. Ende Oktober hatte er mitgeteilt, erneut Rettung in einem Schutzschirmverfahren suchen zu wollen. Es war das zweite Mal innerhalb von weniger als zwei Jahren, dass der Konzern den Weg zum Insolvenzgericht antreten musste. Schnell wurde klar, dass eine ganze Reihe Filialen geschlossen werden sollen. Am Montag verkündete der Konzern dann, dass 52 der noch verbliebenen 129 Warenhäuser nicht weitergeführt werden und somit 4000 Mitarbeiter ihren Job verlieren.

Dass Gießen nicht zu den 52 betroffenen Häusern gehört, erfuhr die Belegschaft in der Betriebsversammlung. »Den Mitarbeitern ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Last von den Schultern gefallen«, sagte im Anschluss der Gießener Filialleiter Lothar Schmidt.

Die Rettung ist aber dennoch mit weitreichenden Veränderungen verbunden. Laut Schmidt sollen alle verbleibenden Filialen in relativ kurzer Zeit analog des Kasseler Modells umstrukturiert werden. Dazu gehört beispielsweise eine Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern und kleinen Manufakturen. Auch Ergänzungen wie Versicherungen, Schneidereien, Reinigungen oder Bürger-Services sind Teil des Kasseler Modells.

Laut Betriebsratsmitglied Iris Damm sollen dafür alle verbleibenden Häuser in den kommenden drei Jahren umgebaut werden. »Das ist absolut wichtig, es gibt überall Investitionsbedarf.« Gleichzeitig müsse damit gerechnet werden, dass trotz der Rettung auch am Gießener Standort Stellen gestrichen werden, sagt Damm. »Es ist die Rede davon, dass Personalanpassungen in allen Filialen kommen werden. Es gibt dazu bisher keine Fakten, daher wissen wir nicht, was auf unsere Filiale zukommen wird.«

Nicht nur deswegen sei die Stimmung während der Betriebsversammlung nicht ausgelassen gewesen. »Wir haben es zwar geschafft, aber 52 andere Häuser hat es getroffen. Somit verlieren über 4000 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz. Da bleibt einem die Freude im Halse stecken.«

Restaurant wird im Sommer schließen

So sieht es auch Heidrun Feierabend, die Vorsitzende des Gießener Betriebsrats. »Jeder von uns kennt zumindest einen Mitarbeiter in den anderen Filialen, zum Beispiel durch Schulungen und Fortbildungen. Das macht es schwer.«

Zumal es auch im eigenen Haus einschneidende Veränderungen geben wird. »Das Restaurant wird zum 30. Juni schließen«, kündigt Feierabend an, die rund zehn Mitarbeiter müssten sich also neue Jobs suchen. Bereits direkt im Anschluss an die Betriebsversammlung blieb die Küche kalt, die betroffenen Mitarbeiter sahen sich nicht in der Lage zu arbeiten. Das Reisebüro hingegen bleibe erhalten.

Tim Alexander Klotz arbeitet schon seit 23 Jahren in der Gießener Karstadt-Filiale. Auch er hat die Entscheidung mit gemischten Gefühlen aufgenommen. »Sicherlich Erleichterung, aber auch Mitleid und Trauer wegen der Kollegen in den anderen Häusern.« Zumal er die Zahl der zu streichenden Häuser niedriger erwartet hätte. Bitter für die Betroffenen: Laut einer Mitteilung des Konzerns haben sich auch Übernahmepläne durch Investoren zerschlagen. »Die Arbeitsplätze sind also unwiderruflich weg«, sagt Klotz.

Bei allem Mitleid ist die Weiterführung des Gießener Kaufhauses für die Stadt, die umliegenden Geschäftsleute und die vielen Besucher des Selterswegs ein Glücksfall. »Ohne Karstadt bräuchte man gar nicht mehr nach Gießen zum Shopping zu fahren«, sagte eine Passantin, ein älteres Ehepaar war sogar eigens aus Biedenkopf für den Karstadt-Besuch nach Gießen gekommen. Währenddessen versammelten sich vor den verschlossenen Eingangstüren immer mehr Menschen und warteten. Ähnlich dürfte es in den 128 anderen Warenhäusern des Landes abgelaufen sein. An 77 Standorten wurden die Türen nach der Betriebsversammlung wieder geöffnet. In den anderen blieben sie für den Rest des Tages zu. Laut Galeria-Konzern werden sie spätestens ab 31. Januar 2024 für immer geschlossen bleiben.

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