Enkeltrick und „Love-Scamming“: Gießener Kommissariat ist Betrügern auf der Spur
In Internetzeiten gibt es immer mehr neue Betrugsmaschen, wie „Love-Scamming“ über soziale Netzwerke. Aber auch das Telefonbuch wird noch missbraucht.
Gießen - Ihre Opfer finden sich in allen Altersgruppen und sozialen Schichten. Weil sie psychologisch geschickt auf Bedürfnisse und Ängste von Menschen eingehen. Betrüger, die den Enkeltrick oder „Love-Scamming“ anwenden, sorgen mit geringen Mitteln für hohe finanzielle und seelische Schäden bei Betroffenen. Die Ermittler des K 23 in Gießen wollen dies verhindern.
Dieser eine Fall lässt Daniela Löw nicht los. Die stellvertretende Leiterin des Kommissariats K 23 für Vermögens- und Fälschungsdelikte erinnert sich an einen Anruf eines Bankmitarbeiters. Eine ältere Dame würde auffallend viel Geld abheben. Die Ermittlerin besucht die Frau und konfrontiert sie mit ihrem Verdacht. Beim Gespräch wird Löw klar, dass die Seniorin Opfer von Gewinnspielbetrügern sein muss. Das sind Gauner, die den Betroffenen einen Gewinn vorgaukeln. Um an diesen zu gelangen, müssen diese aber in Vorleistung treten und angebliche Steuern oder Versicherungen zahlen.

Enkeltrick und „Love-Scamming“: Opfer in Gießen in allen Altersgruppen und sozialen Schichten
Die Dame ist für Löws Appelle nicht erreichbar. Weil die Kommissarin der Meinung ist, dass sie zudem keine Kontrolle mehr über einige Bereiche ihres Lebens hat, regt sie bei einem Richter eine gesetzliche Betreuung an. Die lehnt das Gericht aber „in einem bitterbösen Brief“ ab, wie Löw erzählt. Ein halbes Jahr später taucht der Name des Betrugsopfers wieder polizeilich auf - diesmal als Tatverdächtige. Sie soll Gelder von Menschen veruntreut haben, auf deren Konto sie Zugriff hatte. Das Geld überwies sie den Betrügern. Sie plante wohl, alles zurückzuzahlen, wenn sie ihren angeblichen Gewinn erhalten sollte. „Sie hatte immer daran geglaubt“, sagt Löw und macht eine kurze Pause. Dann sagt sie, die Frau habe Privatinsolvenz anmelden, ihre Bleibe verkaufen müssen und sei nun von Altersarmut betroffen.
Wer im K 23 arbeitet, muss mit Frust umgehen können. Das wird klar, wenn man mit Löw spricht, einer offenen, herzlichen Ermittlerin, die manchmal ihr Herz auf der Zunge trägt. So sagt sie über ihre Arbeit als Betrugsermittlerin mit einem Augenzwinkern: „Viel Arbeit, wenig Ruhm.“ Denn die Ermittlungen sind wegen der oftmals hinter den Taten stehenden Banden langwierig, schwer und setzen einen hohen Personaleinsatz sowie internationale Zusammenarbeit voraus. Vielleicht hat Löw deshalb in ihrem Zimmer ein Bild von einer großen Weinrebe hängen. Ein Symbol dafür, dass die Trauben für die Ermittler in diesem Deliktfeld manchmal sehr hoch hängen können.
Gießen: Kommissariat 23 gehen gegen Leistungsbetrug oder Verstöße gegen das Datenschutzgesetz vor
Das K 23 wird auch gerufen, wenn ein Betrüger für Waren Geld kassiert, die er gar nicht besitzt. Oder wenn Betrüger Waren bestellen, die dann aber nicht bezahlen. Es geht um Leistungsbetrug, Verstöße gegen das Bundesdatenschutzgesetz und um die Frage, ob ein Hausbesitzer mit einer Kamera vor der Haustür den Nachbarsgarten aufnimmt und so gegen das Recht am eigenen Bild verstößt. Auch Impfpassbetrügern ist das K 23 auf der Spur. Die Zahl der Betrugsdelikte hat sich zwischen 2018 und 2021 um 33 Prozent erhöht. Löw sagt, Kriminelle wüssten, dass es für sie weniger riskant und eventuell mit mehr Beute verbunden sei, übers Internet Waren anzubieten, die es gar nicht gibt, als beispielsweise bewaffnet eine Tankstelle zu überfallen.
In der Regel sind es Banden, die bestimmte Betrugsmaschen immer wieder in abgewandelter Form umsetzen. Aktuell, sagt Löw, sei es der WhatsApp-Betrug: Potenzielle Opfer erhalten eine Kurznachricht, in der ein angeblicher Verwandter schreibt, er habe ein neues Smartphone und eine neue Telefonnummer. Sehr bald folgt die Bitte, Geld zu überweisen - weil beim neuen Telefon das Onlinebanking noch nicht freigeschaltet sei. „Das ist eine neue Form des Enkeltricks“, sagt Löw. Einfach macht es den Betrügern der Umstand, dass es einige Onlinebanken gibt, bei denen Kunden ohne Hürden Konten eröffnen können.
Gießen: Enkeltrickbetrüger suchen sich ihre Opfer oft über das Telefonbuch
Täter suchten sich früher ihre Opfer hauptsächlich übers Telefonbuch aus. Je älter der Name klang, desto mehr Chancen rechneten sie sich aus. Manche Banden, erzählt Löw, tauschten Kontaktdaten untereinander aus. Oftmals aber versuchten es die Betrüger einfach auf gut Glück. Dies zeigt sich auch bei den Betroffenen der vielen Betrugsmaschen: „Es gibt Geschädigte, die sind noch keine 50 Jahre alt. Und es betrifft alle Bevölkerungsgruppen“, betont Löw: also die Professorin genauso wie den Fabrikarbeiter.
Das hat einen einfachen Grund: Die Betrüger sind Profis in dem, was sie tun - und psychologisch geschult. Wer angerufen wird, steckt mitten in einer Alltagshandlung. Er kocht, liest Zeitung, was man eben so macht. Dann wird das Opfer von jetzt auf gleich mit einer Ausnahmesituation konfrontiert: ein Unfall, eine kurzfristige Operation oder ein Konflikt mit dem Gesetz. „Die Menschen werden zum Teil bis zu sieben Stunden ununterbrochen am Telefon gehalten und so sehr psychisch unter Druck gesetzt, dass ihnen das Herz in die Hose rutscht, sie nicht mehr klar denken können“, sagt Löw. Manche Betrüger arbeiten mit wechselnden Rollen, lassen zum Beispiel einen Oberarzt oder einen Staatsanwalt auftreten. Viele Geschädigte würden erst später realisieren, dass sie Opfer eines Betrugs wurden. Zu diesem Zeitpunkt haben die Bandenmitglieder bereits die Stadt mit dem von den Opfern übergebenen Bargeld verlassen.
K23 in Gießen: Nicht in die Karten schauen lassen - „Love-Scamming“ durch professionelle Banden
Die Ermittler des K 23 lassen sich nicht in die Karten schauen, wie sie den Betrügern auf die Spur kommen wollen. Löw sagt aber, dass vor allem der deutschlandweite und internationale Austausch mit anderen Ermittlungsbehörden wichtig sei. Gefragt werde: Wer hat das Telefonat geführt oder geschrieben, wer das Geld abgeholt, wer alles arrangiert? Und: Wer sind die Nutznießer? Es ist schwer, an die Hintermänner zu kommen. Aber manchmal klappt es doch: Löw berichtet von einer internationalen Aktion mit polnischen Behörden, bei der innerhalb von zwei Wochen mehrere Festnahmen auch in Hessen stattgefunden haben. Laut Löw hätten die Ermittler Straftaten mit einem Volumen von einer Million Euro verhindert. Das Problem: „Es ist wie bei einer Hydra. Schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei nach.“
Dem K 23 hilft auch die Geschichte, die die Betrüger ihren Opfern auftischen: „Je nachdem, welche Legende benutzt wurde, wissen wir, wo die Bande sitzt.“ Beispiel „Love-Scamming“ - also Liebesbetrug. So gebe es in Nigeria professionelle Banden, die technisch auf höchstem Niveau agierten und vor allem über soziale Medien wie Facebook oder Instagram nach Opfern suchten. So gibt es die Mär vom einsamen US-Soldaten im Auslandseinsatz, der auch noch getrennt lebt und sich um seine kleine Tochter kümmern muss. „Zuerst wird Vertrauen aufgebaut, werden Blumen oder Kuscheltiere geschickt, sogar Videotelefonate geführt“, sagt Löw. Kurzum: Die Täter schmeicheln ihren Opfern, sie gehen auf deren Bedürfnis nach Liebe und Nähe ein. Und dann bitten sie irgendwann um Geld - immer und immer wieder. „Sie wollen das Maximum herausholen“, sagt Löw.
Betroffene seien emotional so gefangen, sie wollten diese Liebesgeschichten glauben und seien oft nicht zugänglich für Sachargumente. „Es sind vor allem Männer, die einen solchen Betrug vor allem aus Scham nicht zur Anzeige bringen“, betont die Polizistin. „Sie dachten, da wartet die Liebe ihres Lebens auf sie.“ (Kays Al-Khanak)