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Energiekrise in Gießen: „Ich stelle mich nicht in den Laden, nur um Heizkosten und Miete zahlen zu können“

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Von: Christoph Hoffmann

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In Gießen gehen Geschäftsleute unterschiedlich mit den horrenden Kosten für Strom und Gas um. Einige machen nun im Winter den Laden dicht.

Gießen - Die gestiegenen Preise für Strom und Heizung treffen den Einzelhandel und die Gastronomie erheblich. Auch in der Gießener Fußgängerzone sieht man die Auswirkungen an vielen Stellen. Türen bleiben zu, Heizungen werden heruntergefahren und die Öffnungszeiten reduziert. Es gibt sogar Läden, die während der Heizperiode komplett schließen.

Nach einem überraschend warmen Herbstanfang sinken die Temperaturen langsam. Gleichzeitig werden die Tage dunkler, und Heiligabend liegt auch nicht mehr in allzu weiter Ferne. Das nahende Weihnachtsgeschäft wird wieder viele Menschen in den Seltersweg locken - die bei manchen Läden jedoch vor verschlossenen Türen stehen werden. »Wir lassen unsere Türen schon seit einiger Zeit nicht mehr durchgehend offen«, sagt Karstadt-Chef Lothar Schmidt, »wir wollen ja nicht den Seltersweg heizen«. Einkaufen können die Kunden selbstverständlich weiterhin, sie müssen eben nur die Türen öffnen. Um Energie einzusparen, sind bei Karstadt derzeit zudem zwei der vier Fahrstühle sowie vier der insgesamt 16 Rolltreppen ausgeschaltet.

Ukraine-Krieg lässt Energiekosten explodieren - Gießener Läden schließen in Heizperiode

Der Krieg in der Ukraine hat die Energiekosten in die Höhe schnellen lassen. Bei vielen Energieversorgern sind die Preise um ein Vielfaches gestiegen. Der rasante Anstieg kostet Deutschland nach Berechnungen des Ifo-Instituts fast 110 Milliarden Euro an verlorenem Realeinkommen.

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Nicht nur bei Karstadt wird Energie eingespart. © Oliver Schepp

»Die letzte Stromrechnung war dreimal so hoch wie zu normalen Zeiten«, sagt Steffen Stark, der in der Region zwölf Mc-Donalds-Filialen betreibt, darunter auch jene in der Neuen Bäue und im Schiffenberger Tal. Um Energie einzusparen, werden Starks Restaurants derzeit nicht über 19 Grad geheizt, nachts und zu besucherarmen Zeiten leuchtet lediglich eine Notbeleuchtung, zudem bleibt einer der beiden Grills sowie eine von zwei Eismaschinen aus.

Verkürzte Öffnungszeiten und abgeschaltete Beleuchtung: So reagieren Geschäfte in Gießen

Auch Arno Jung, Chef von Punkt und Strich sowie des Kartenladens, dreht die Heizung ein Stück herunter. »Im Kartenladen haben wir zudem leicht verkürzte Öffnungszeiten, bei Punkt und Strich machen wir die Beleuchtung abends jetzt komplett aus.«

Bei ei nem Gang durch die Innenstadt wird deutlich, dass viele Einzelhändler auf diese oder ähnliche Weise die Strom- und Heizkosten senken wollen. An mehreren Türen hängen diesbezüglich Hinweisschilder. »Gemeinsam Energie sparen« will Karstadt durch verkürzte Öffnungszeiten. Douglas schaltet »der Umwelt zuliebe« ab 22 Uhr das Licht aus, und das Modegeschäft Liberty lässt die Türen geschlossen, um die Energiekosten zu senken, freut sich aber dennoch über Kunden.

Betrieb unrentabel wegen Heizkosten: Buchladen in Gießen macht im Winter dicht

Für Heinz-Jörg Ebert, dem Vorsitzenden des BID Seltersweg, sind das allesamt sinnvolle Maßnahmen in einer schwierigen Zeit. »Die Sensibilität bei den Einzelhändlern im Seltersweg ist groß. Man geht mit spitzem Bleistift an alle Energiepositionen: Strom. Licht. Wärme. Klimaanlage. Immer mit dem Ziel, der Wohlfühlatmosphäre keinen Abbruch zu tun.« Ebert rechnet damit, dass sich die Einsparbilanz bereits im Oktober sehen lassen kann. In seinem Schuhhaus Darré habe das alleine im vergangenen Monat einen hohen dreistelligen Betrag ausgemacht.

Birgit Hohmann vom Buchladen Miss Marple’s in der Bahnhofstraße hat hingegen die Reißleine gezogen. »Während der Heizperiode bleibt das Geschäft geschlossen«, sagt die Inhaberin. Ab dieser Woche sei es so weit, dann könnten nur noch per E-Mail Bücher bestellt werden, die dann zu den Kunden nach Hause geliefert werden. Der Grund für diesen drastischen Schritt sei die Vorauszahlung ihres Vermieters gewesen, die um das Dreifache gestiegen sei und nun fast einer zweiten Miete entspreche. Bei solch hohen Nebenkosten sei der Betrieb ihres kleinen Landens schlichtweg nicht mehr rentabel. »Ich stelle mich nicht in den Laden, nur um Heizkosten und Miete zahlen zu können«, sagt die Buchhändlerin. »Ein bisschen was würde ich auch gerne für mich verdienen.«

Gießen: Keine Weihnachtsstimmung im kalten Laden?

Die Heizung deutlich herunter zu drehen, komme für sie nicht in Frage, sagt Hohmann. »Ich möchte es mir nicht zumuten, den ganzen Tag in einem kalten Laden zu stehen - und den Kunden erst recht nicht.« Ein Einkaufserlebnis könne so nicht entstehen, Weihnachtsstimmung erst recht nicht.

Bleibt für Hohmann nur die Hoffnung auf viele Bestellungen per E-Mail - und für alle anderen Geschäftsleute der Wunsch nach einen möglichst kurzen Winter. (Christoph Hoffmann)

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