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Eine warme Mahlzeit täglich

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Von: Sophie Röder

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Carlo Paradiso stellt das warme Essen ins Auto: Kurz darauf startet seine Tour. Rund 50 bis 60 Gießener Seniorinnen und Senioren werden täglich vom ASB bekocht. © Sophie Mahr

Altersarmut ist nicht nur in Großstädten ein Thema. Auch in Gießen gibt es Rentner, die jeden Cent zweimal umdrehen und nicht wissen, wovon sie leben können. Daher hat der ASB das Projekt »Wir helfen direkt« gegründet. Seit Anfang April bekommen 16 Seniorinnen und Senioren täglich eine kostenlose warme Mahlzeit.

Gegen 10 Uhr lädt Carlo Paradiso das Auto des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) im Kropbacher Weg. Von dort startet die Tour mit warmem Mittagessen für Senioren. Zwischen 50 und 60 Mahlzeiten pro Tag liefert der ASB in und um Gießen aus. Zudem wird ein Hausnotruf betrieben.

Paradiso ist seit eineinhalb Jahren im Team. Hauptberuflich ist er Selbstständiger in der Veranstaltungsbranche. Doch coronabedingt suchte er einen Nebenjob. »Ich wollte etwas machen, das sinnvoll ist, etwas Gutes tun und Menschen helfen«, sagt er. Zudem fahre er gerne Auto. Daher hatte er sich für die Essensauslieferung beim ASB beworben.

Seit Anfang des Monats gibt es im Zuge des Projektes »Wir helfen direkt« (WHD) eine Neuerung bei der Tour: Es werden nicht nur kostenpflichtige Mittagessen, sondern auch kostenlose Mahlzeiten ausgeliefert. »Ich finde es ziemlich gut, dass damit Bedürftigen geholfen wird«, sagt Paradiso.

»Das Projekt ist eine Herzensangelegenheit. Wir wollten etwas Gutes tun, und Menschen helfen, die es sich nicht leisten können«, sagt Sandra Kömpel. Sie ist die Teamleiterin des Menü-Service des ASB Regionalverbandes Mittelhessen. »Da Altersarmut ein großes Problem ist, haben wir vergangenes Jahr mit ›Wir helfen direkt‹ in Offenbach gestartet. Uns ist es wichtig, dass das Essen bei den Menschen ankommt, die es auch benötigen.« Es soll ein niedrigschwelliges Angebot sein, daher werde die finanzielle Situation derjenigen, die sich anmelden, nicht geprüft. »Wir verlassen uns ein Stück weit darauf, dass sich niemand meldet, der es nicht nötig hat. Bisher haben wir damit gute Erfahrungen gemacht. Es ist eher das Problem, dass sich diejenigen, die das Essen eigentlich nötig haben, nicht trauen.«

»Zunächst waren wir nicht sicher, ob in Gießen Bedarf vorhanden ist. Also haben wir Kirchen, wie die Werkstattkirche, und Vereine kontaktiert«, sagt Kömpel. Die Resonanz sei groß gewesen, sodass seit dem Auftakt des Projektes 16 Seniorinnen und Senioren beliefert werden. Damit sind derzeit fast alle Plätze in Gießen vergeben. Aktuell können 18 Personen ein kostenloses warmes Mittagessen erhalten.

In Absprache mit Vereinen wie dem Nordstadtverein - der ebenfalls Bedürftige in Zusammenarbeit mit dem Restaurant »Gutburgerlich« kostenlos beliefert - werde ein großer Wirkungskreis abgedeckt, sagt Kömpel.

Manche Senioren schämen sich

Über den Verein ist auch Edeltraut Meier (Name geändert) zum Projekt des ASB gekommen. »Es ist sehr gutes Essen«, sagt die 75-Jährige, die viele Jahre lang selbst beruflich in einer Küche gearbeitet hat. »Am Anfang habe ich täglich Essen bekommen. Doch das ist mir zu viel. Da habe ich beim ASB angerufen und gefragt, ob ich jeden zweiten Tag beliefert werden kann.« Das funktioniere ohne Probleme. Zudem werde Rücksicht darauf genommen, dass Meier keine Nudeln, keinen Reis und keinen Fisch haben möchte. »Das klappt prima«, sagt Meier. Kömpel erklärt, dass in einem Vorgespräch Unverträglichkeiten abgeklärt werden.

Die Tatsache, dass sie kostenloses Essen bezieht, beschäme Meier. Und sie habe, bevor sie in das Programm des ASB aufgenommen wurde, unschöne Erfahrungen mit Nachbarn gemacht, als sie über einen anderen Verein mit Essen versorgt wurde: »Da wurde gerufen, ›Dein Bettel-Essen ist da.‹ Ich habe viele Jahre lang gearbeitet und hatte so was nie nötig«, sagt sie. »Aber ich habe nur eine kleine Rente. Miete, Strom und Telefon, das ist alles teurer geworden, und ich habe auch Hunger.«

Früher habe Meier neben der Rente einen Minijob gehabt. Heute nicht mehr. Daher freut sich die 75-Jährige über das Essen. »Es ist eine Entlastung, und die Menschen sind freundlich.«

Die Dankbarkeit spürt auch Paradiso bei der Auslieferung. »Manche wollen dabei reden, andere sind eher verschlossen. Auch wenn die Zeit oft drängt, nehme ich mir ein paar Minuten, um zu fragen, wie es den Menschen geht.« Eine Tagestour dauere für gewöhnlich von 10 bis 13 Uhr. »Plusminus ein paar Minuten, das hängt immer vom Autoverkehr und dem Gesprächsbedarf der Senioren ab«, sagt Paradiso.

Ein Vorteil für diejenigen, die ihr Essen kostenlos über den ASB beziehen, liegt in den integrierten Touren. Denn beim Ausliefern wird kein Unterschied gemacht, ob die Rentner dafür bezahlen - also »Essen auf Rädern« beziehen - oder nicht. Die Fahrtroute orientiert sich an den Wohnorten. »Ich sehe keinen Unterschied, ob das Essen kostenlos ist oder nicht. Klar hat man im Hinterkopf, dass es bedürftige Menschen sind, aber ich helfe gern«, sagt Paradiso. »Ich kann mir vorstellen, dass manche sich schämen, das Essen zu beziehen. Aber ich denke mir immer, es kann jeden treffen. Wer weiß, wie es ist, wenn man selbst in dem Alter ist.«

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