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Eine ganze Palette weiblicher Akteure

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Eine exzellente Vorleserin: Sara Grunert. © Heiner Schultz

Gießen (kdw). Christoph Jilos Reihe »Stories, Wein, Musik« ist zu einem sicheren Tipp für niveauvolle literarische und musikalische Unterhaltung geworden. Das bestätigte die jüngste Ausgabe. Eine sehr ausgeschlafene Auswahl von Geschichten traf auf die Sicherheit einer quicklebendigen Sprecherin, und eine erfahrene Pianistin rundete die Sache exzellent ab.

Das Haus war wieder ausverkauft.

»Der Zuspruch ist wirklich unfassbar«, freute sich der Veranstalter eingangs und kündigte an, dass der sehr gut angekommene Miles-Davis-Abend wiederholt werde. Und »Endlich haben wir eine Palette weiblicher Akteure - es ist ein richtiger Frauenabend geworden.« Das war korrekt, denn auch die Geschichten stammten sämtlich von Autorinnen.

Als Vorleserin agierte Sarah Grunert. Sie war ab 2013/14 festes Ensemblemitglied am Bochumer Schauspielhaus, 2017 wechselte sie ans Schauspiel Frankfurt. Grunert machte sich mit Elan ans Werk und lieferte Mascha Kalékos grandios nachdenkliches Gedicht »Einem Freunde, der sich dem Trunk ergab« gleich tadellos ab.

Aber richtig los ging’s dann mit Marie Auberts »Du solltest dich schämen«, einer leicht schrägen Story, in der die Protagonistin erst mal nicht ganz deutlich wird: Sie war wohl im Gefängnis, dann ging ihr Bild durch die Medien, und jetzt sitzt sie mit der Familie am Tisch und ist von dieser Alltäglichkeit gestresst. Ziemlich fluid konstruiert ist das, und Grunert gestaltet alle Facetten scheinbar mühelos und präzise. Der Abschluss mit einer merkwürdigen Situation im Taxi - es klingt wie ein Erpressungsversuch - hält das Ganze schön in der Schwebe.

Pianistin Claudia Zinserling leitete den Abend ein mit Pophits, legte schon mal Marleys »I shot the sheriff« dazu und ließ den Abend musikalisch mit »White Christmas« ausklingen. Exzellenter Sound und eine entspannte, präzise und sensible Handschrift ließen ihre Parts zu einem Vergnügen werden.

Befindlichkeiten und Liebesaffären

Ein erster Höhepunkt war Lydia Davis ausgefallene Story »Ich fühle mich ziemlich wohl, könnte mich aber ein wenig besser fühlen«, in der die Autorin eine nicht enden wollende Reihe von Beschwerden und miesen Befindlichkeiten ihrer Protagonistin auflistet - sehr komisch. Grunert, sichtlich angetan, führte das Ganze zu einem sehr dynamischen Höhepunkt und regte sich immer mehr auf: großartig, starker Applaus.

Maike Wetzels »Der König« ist eine mit feiner Absurdität im Alltag angesiedelte Geschichte zweier ungewöhnlicher Nachbarn. Der »König« ist eigentlich U-Bahn-Fahrer, wurde aber zum »Lottokönig« und schwimmt jetzt im Geld. Die beiden Töchter der proletarischen Nachbarsfamilie möchten in seinem Pool baden, aber Muttern will das nicht. Lebhafte Dialoge und Einblicke ins Seelenleben der Figuren machen das sehr interessant, der paradoxe Schluss passt prima.

Lucia Berlins »Eine Liebesaffäre« schloss den Abend ab. Das leicht absurde Beziehungstheater in einer Dentistenpraxis wird mit großer Menschenkenntnis und souveräner Stilsicherheit gezeichnet und machte bis zur Schlusspointe allen Zuhörern richtig Spaß. Grunert war in ihrem Element und ließ alle Facetten glänzen. Ein wunderbarer Abend.

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