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»Es war mir eine Ehre«

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Von: Burkhard Möller

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Rathaus-Architektin Ute Kramm im Atrium. Vor zehn Jahren wurde die Stadtverwaltung eingeweiht.
Rathaus-Architektin Ute Kramm im Atrium. Vor zehn Jahren wurde die Stadtverwaltung eingeweiht. © Schepp

Manchmal ist in der Zeitung noch vom »neuen« Rathaus die Rede. Dabei ist es auch schon wieder zehn Jahren her, dass das »Kulturrathaus« feierlich eingeweiht wurde. Für die Architektin Ute Kramm hat das »Haus der Bürger« bis heute eine große Bedeutung. »Ich bin immer wieder stolz, wenn ich das Rathausgebäude betrete«, sagt die Chefin des Büros »aplus« im Interview.

Frau Kramm, Sie sind Gießenerin. Inwieweit nutzen Sie das Rathaus selbst?

Ute Kramm: Ja, ich bin seit 15 Jahren Gießenerin und regelmäßig im Rathaus. Wegen meiner beruflichen Tätigkeit habe ich oft Termine bei den Ämtern der städtischen Bau- und Planungsverwaltung. Ab und zu bin ich im Stadtbüro oder besuche Konzerte und Empfänge.

Werden Sie in der Verwaltung noch auf Ihre Planung angesprochen?

Kramm: Mittlerweile nicht mehr. In der ersten Zeit nach der Einweihung passierte das oft, und es hieß dann: Da kommt die »Mutter vom Rathaus« (lacht). In der ersten Phase hört man als Architektin natürlich mehr Meinungen, weil sich die Nutzer an ihr neues Arbeitsumfeld gewöhnen müssen. Ein häufig diskutiertes Thema war das baulich gläserne Rathaus. Den einen war das zu viel Transparenz, anderen hat die Lichtdurchflutung besonders gefallen. Insgesamt war das Feedback positiv.

Sind Sie mit den Gedanken sofort bei dem Projekt von damals, wenn Sie das Rathaus betreten?

Kramm: Das ist definitiv so. Wenn ich durch die Eingangshalle und das Atrium gehe, freue ich mich, wie die Bereiche angenommen und für Veranstaltungen genutzt werden. Wir haben damals ja bewusst die Ebenen und Flure mit Lufträumen geplant, die der Erschließung und dem Aufenthalt dienen sollen und uns vorgestellt, wie man sie nutzen könnte. Insofern bin immer wieder stolz, wenn ich das Rathausgebäude betrete. Oder denken Sie an die komfortable Tiefgarage, die in den ersten Jahren nicht richtig angenommen wurde. Mittlerweile ist sie nicht mehr wegzudenken.

Sie erkennen »Ihr« Rathaus also wieder?

Kramm: Definitiv. Es hat erforderliche Umbauten wie jetzt in der Ausländerbehörde gegeben - aber gemessen an der Dimension und Komplexität des Projekts, haben sich die Umbauten bislang in Grenzen gehalten.

Kennziffern wie Arbeitsplätze gibt der Auftraggeber vor, in diesem Fall der Magistrat der Stadt. Hat es Sie überrascht, dass das Rathaus jetzt schon wieder zu klein geworden ist und die Stadt außerhalb Bürofläche anmieten will?

Kramm: Nein, denn Gießen boomt, da wachsen die Behörden mit. Ich hatte damals auch nicht den Eindruck, dass die Stadtverwaltung personell überbesetzt war, und auch die Prognosen zur Einwohnerentwicklung sagten etwas anderes voraus. In dem Komplex musste außerdem die Polizei mit ihrer Stadtwache untergebracht werden. Es hätte damals durchaus die Möglichkeit gegeben, eine Aufstockung mit zu planen - aber mal ehrlich, viel Sinn hätte das nicht gemacht: Man gewinnt damit vielleicht Raum für 50 bis 60 Arbeitsplätze und hat einen gewaltigen baulichen Aufwand.

Ist es ein Unterschied, ob Sie ein Bürogebäude für die öffentliche Verwaltung oder ein Privatunternehmen entwerfen?

Kramm: Die Planung für ein kommunales Verwaltungsgebäude unterscheidet sich schon von einem Bürobau, bei dem es hauptsächlich darum geht, Arbeitsplätze unterzubringen. Das Rathaus ist das »Haus der Bürger« und erfordert einen komplett anderen Ansatz. In diesem Fall musste mein Architekturbüro kulturelle Nutzungen wie Konzertsaal, Kunsthalle und Bibliothek unterbringen und wollte mit den offenen Räumen und Verkehrswegen ein Statement setzen. Ich bin heute noch froh, dass wir viele Bereiche nicht so eng geplant haben. Das Rathaus ist großzügig und soll auch ein bisschen repräsentativ wirken.

...und zeitlos?

Kramm: Ich denke nicht, dass die Stadt Gießen ein Rathaus für nur 20 oder 30 Jahre plant. In meinem Leben will ich jedenfalls keinen weiteren Rathausabriss erleben (lacht). Aber im Ernst: Es ist eine einfache und klare Architektur, die Bestand hat.

Es war ja oft von einem »Jahrhundertprojekt« für die Stadt Gießen die Rede. War das übertrieben?

Kramm: Ganz falsch ist das nicht. Die Lebenserwartung von kommunalen Gebäuden wird statistisch berechnet auf 50 Jahre. Es wird aber von mindestens 80 Jahren ausgegangen. Der Lebenszyklus der technischen Anlagen ist natürlich viel kürzer. Dass es da nach zehn oder 15 Jahren zu Erneuerungen kommt, wie jetzt bei der Mikrofonanlage im Sitzungssaal, das ist völlig normal.

Auf was kommt es an?

Kramm: Ganz einfach: Am Ende müssen der Auftraggeber und die Nutzer zufrieden sein, und Architektur sowie Bauqualität müssen stimmen. Ein kleines Beispiel dazu: Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich darum gekämpft habe, dass die Fassade aus Kostengründen nicht mit einem Wärmedämmverbundsystem, sondern - wie geplant - mit Naturstein verkleidet wird. Da habe ich gesagt: Das rechnen wir jetzt noch mal und schauen uns die Lebenszykluskosten auf 20 Jahre an. Wir konnten klarmachen, dass die Kosten für beide Varianten in dieser Betrachtung fast identisch waren. Wenn ich heute die Rathausfassade sehe, denke ich: Gut, dass wir beim Naturstein geblieben sind.

Ist das Gießener Rathaus bis heute Ihr größtes Projekt?

Kramm: Absolut. Ich habe bei der Vorbereitung des Interviews noch einmal die Rede durchgelesen, die ich bei der Einweihungsfeier gehalten habe. Da hatte ich richtig Gänsehaut. Dieses Rathausprojekt war für aplus etwas ganz Besonderes, das uns so nicht mehr passieren wird, auch wenn wir vorher und nachher spannende Projekte planen durften. Ich habe es als Ehre empfunden, als Bürgerin das Rathaus der eigenen Stadt planen zu dürfen. Das Rathaus steht als Referenzobjekt ganz oben auf unserer Home- page und wird auch nicht nach unten rücken. Da bin ich auch emotional betroffen. Das ist unser Projekt, und wir haben es mit viel Leidenschaft und Energie geschaffen.

Als Rathaus-Architektin standen Sie damals plötzlich im Fokus der Öffentlichkeit. Wie war das?

Kramm: Die Rahmenbedingungen waren schon anders. Die Presseberichterstattung, die Diskussion um die Kosten, die kritische Beleuchtung des Projekts: Es war nötig, sich daran zu gewöhnen, aber auch zu lernen, dass man das nicht persönlich nehmen darf. Trotzdem würde ich nicht sagen, ich bin durch das Rathaus abgeklärter geworden. Ohne Anspannung und Herzblut für die eigenen Projekte geht es nicht.

Es gab den Zoff um die Auftragsvergabe: Sie waren dritte Preisträgerin des Architektenwettbewerbs, bekamen dann aber den Auftrag. Was haben Sie daran noch für Erinnerungen?

Kramm: Wie gesagt, an diese politische Begleitmusik muss man sich gewöhnen, wenn man kommunale Projekte plant und der Auftraggeber dafür Steuergelder ausgibt. Das war damals unser erster richtig großer Wettbewerb. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als wir den Anruf vom Preisgericht bekommen haben, dass wir Dritter geworden sind. Auf meine Frage, wer gewonnen habe, hieß es, Rohrbach & Schmees. Das Erste, was ich nach dem Telefonat gemacht habe: ich habe bei den Kollegen angerufen und gratuliert und noch scherzhaft gesagt: So ein Mist, ich hätte das Rathaus auch gerne gebaut. Dass es danach noch ein Verhandlungsverfahren geben würde, das letztlich dazu geführt hat, dass wir den Auftrag zur Planung erhalten haben, daran hatte ich zum damaligen Zeitpunkt nicht gedacht. Mittlerweile weiß ich, dass es gar nicht so selten passiert, dass der erste Preisträger nicht den Auftrag bekommt.

Inwiefern hilft Ihnen das Projekt Rathaus Gießen heute noch, weil es Ihr Büro richtig bekannt gemacht hat?

Kramm: Wir hatten mit unserem Büro immer das Glück, coole Projekte planen zu dürfen, nicht unbedingt von der Größe her. Aber der Umbau der Stadtwerke-Zentrale und das Rathaus haben uns ganz weit nach vorne gebracht. Wir haben aktuell zum Beispiel eine tolle Wohnhausplanung von einem Auftraggeber aus Frankfurt bekommen, der über das Rathaus auf uns aufmerksam wurde. Wer so ein großes Vorhaben stemmt, dem traut man auch die Planung anspruchsvoller Objekte unterschiedlichster Art und Größe zu.

Das Großkino, das später gebaut wurde, wurde nicht von Ihnen geplant. Wie bewerten Sie das Gesamtensemble?

Kramm: Die Bebauung des sogenannten Investorengrundstücks habe ich anfangs nur noch beratend begleitet. Es gab dann einen städtebaulichen Vertrag, in dem einige Dinge fixiert wurden, die mir, aber auch der Stadt, wichtig waren. Das war vor allem die Materialität, damit die jetzige Ensemblewirkung entsteht. Ganz wichtig war auch, dass der Rathausplatz durch die Verschiebung des Kinobaus auf Grundstücke des Landkreises frei blieb und das Rathaus durch einen Vorderbau nicht verdeckt wurde. Der für die Projektsteuerung zuständige Stadtrat Dr. Volker Kölb hat gesagt: »Ich will nicht, dass die Leute, wenn sie nach dem Rathaus fragen, als Antwort hören: Das ist das Gebäude hinter dem Kino.« Für die Belebung der Stadtmitte am Berliner Platz sind das Kino und das Theaterstudio ganz wichtig.

Aplus verbindet man eher mit moderner Architektur. Was halten Sie denn von der Debatte über das historisierende Bauen, das auch in Gießen Anhänger hat?

Kramm: Wir planen auch viel im Bestand und haben daher oft mit dem Denkmalschutz zu tun. Wir haben mit der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt eine harte, aber sehr faire Behörde, der es um die Sache geht. Auf den ersten Blick kann das manches Mal nerven, aber ich kann die Haltung gut nachvollziehen. Dass das bisschen historische Bausubstanz, das Gießen noch hat, geschützt wird, ist richtig. Wir haben ja selbst mit dem Charlotte-Croon-Haus eine Rekonstruktion geplant, weil das eine ganz emotionale Geschichte der Familie Becker und für Gießen ein Stück Stadtreparatur war. Mit einzelnen Objekten wie zum Beispiel der Dresdner Frauenkirche kann ich mich identifizieren. Aber großflächig sehe ich das historisierende Bauen eher kritisch. Wir leben in der Gegenwart und planen für die Zukunft.

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