Ein wunderbares Roadmovie

Gießen (clg). Es kann alles so einfach sein. Ein alter Feuerwehrmercedes wird umgebaut, auf das Dach eine Leinwand montiert, auf dem Heck ragt eine Bar, darauf eine Popkornmaschine und eine Kühlbox mit Getränken - und fertig ist das Freilichtspielhaus. Das leider etwas spärliche Publikum trudelte ein, ertrug gut gelaunt eine halbe Stunde die etwas arg moralinsauren Weltverbesserungssongs der Gießener Combo »mehr impulse«, und dann läuteten Dominik Hallerbach und Johannes Karl mit einer großen Glocke den Beginn des beeindruckenden und anrührenden Filmes ein.
Ihr Theaterroadmovie »Der Wagen«, gezeigt vor der Probebühne der Angewandten Theaterwissenschaft, bildeten den Auftakt zum diesjährigen Hungry Eyes Festival.
Reise im letzten Sommer vor Corona
2019 hatten sie sich auf den Weg gemacht von den rheinhessischen Weinbergen in die Hauptstadt, zwei alte Heuwagen gezogen vom heimlichen Hauptdarsteller, einen Hermann Lanz Traktor, Baujahr 1958. Auf dem Heuwagen spielten sie auf ihrer 17-tägigen Reise an 16 Stationen »Das große Welttheater« von Pedro Calderón de la Barca, ein allegorisches barockes Spiel, in dem Gott, die Welt, der Arme, der Reiche, das Elend, die Weisheit und die Schönheit mitwirken. Kurz: Es geht ums große Ganze und was die Welt im Innersten zusammenhält. Und es war eine Reise vom Westen in den Osten, eine Reise über die Dörfer und in die Großstädte, eine im letzten Sommer vor Corona, die Hallerbach mit einer einzigen Kamera einfing.
Neben den verschiedenen Aufführungen vor Weinbergen, Rathäusern, Schlössern oder auf Dorfplätzen erzählt der Film vor allem sehr charmant von den Schwierigkeiten, die eine solche Fahrt mich sich bringen kann. Der alte Traktor zickt rum, die Räder des Heuwagens laufen nicht mehr wie geschmiert, man verfährt sich und - eine ungeplante, aber schöne Pointe - bleibt hängen in einem Wald, durch den einst die deutsch- deutsche Grenze verlief. Doch immer wird dem fahrendem Volk nach gelegentlich skeptischen Blicken Hilfe gewährt und dies vor allem, obwohl von den Gauklern anfangs anderes befürchtet, in den kleinen Orten Thüringens und Sachsen-Anhalts. So anstrengend es manchmal in diesem heißen Sommer für die Truppe war, die Schwierigkeiten sorgten für besondere Begegnungen. Oder, wie ein Mechaniker sagte, der den Heuwagen wieder flott kriegte: »Wo Luft ist, ist auch Leben!«. In dessen Werkstatt hören sie auch ein erstes Mal »Weitergehen« von den Amigos aus dem Radio dudeln und hängen es dem Film als eine kleine Hommage an all die Menschen, welche sie entlang der Straße getroffen haben, als Abspannmusik an. Ein wunderbares Roadmovie, das die Kraft des Theaterspiels feiert und dahin zurückgeht, woher die Bühnenkunst kommt: zum Unterwegssein, zum Wagemut, zum Inkaufnehmen von Unsicherheiten und Überraschungen. Und zur ständigen Improvisation. Ein Film, der die Verwertung auf großen Leinwänden verdient hätte.
Gemeinsam in Gießen studiert
Nach der Aufführung fragte ich die zwei Filmemacher, die sich als Studenten der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen kennengelernt hatten, ob ihnen auf der Reise mal der alte Spruch: »Die Gaukler kommen, hängt die Wäsche rein!«, über den Weg gelaufen sei. »Ganz im Gegenteil!«, meinte dazu Hallerbach, »Die haben geholfen, die Wäsche mit aufzuhängen!«, und Karl ergänzte: »Und dabei haben sie noch ihr ganzes Wissen rausgeholt und uns zur Verfügung gestellt!« Und ob man eine neue Reise plane, fragte ich noch. »Gewiss, wenn man uns nicht einlädt, dann fahren wir halt hin!« Toller Abend.