Ein Notfall macht erfinderisch

Manchmal kann es Leben retten, wenn Rettungsärzte und Notfallmedizinerschnell über Krankheiten oder Medikationspläne ihrer Patienten Bescheid wissen. Doch was ist, wenn die nicht mehr ansprechbar sind? Nach einem Erlebnis in der eigenen Familie haben zwei Gießener mit ihrem Start-up Schatzengel dafür eine digitale Lösung entwickelt.
Es war 2018, als Beate Siedes Mutter nachts in ein diabetisches Koma gefallen ist. Man merkt der Tochter heute noch an, dass dieses Ereignis Spuren hinterlassen hat. Vor allem ein Satz des behandelnden Arztes habe die Familie lange beschäftigt: »20 Minuten später, und ihre Mutter wäre nicht mehr da.« Hilflos hat sich die Wieseckerin damals gefühlt, vor allem auch weil Beate Siede und ihr Mann Andreas erst am nächsten Tag von dem Vorfall informiert worden seien. Um so eine Situation in Zukunft in ihrer Familie, aber auch bei allen anderen zu verhindern, haben die Siedes das Start-up Schatzengel gegründet. Ihr Produkt: Kleine orangene Aufkleber mit QR-Code, hinter denen sich Notfallinformationen wie Rufnummern von Angehörigen oder auch der Medikationsplan hinterlegen lassen.
Ärzte kannten die Medikation nicht
Eine der ersten Fragen, die der Arzt Beate Siede nach ihrem Eintreffen im Krankenhaus gestellt habe, sei gewesen, welches Insulinmedikament ihre Mutter einnehme. »Und ich wusste es einfach nicht.« Andreas Siede musste sich erst ins Auto setzen, zum Elternhaus fahren und sich einen Überblick über die Medikamente verschaffen. Heute sagt Beate Siede: »Ich war damals so unvorbereitet.« Ihre Mutter und ihr Vater hatten sich aber bis zu dem Vorfall auch selbst um alles gekümmert. Das Ehepaar war noch weitgehend selbstständig, obwohl der Vater zwar dement sei und die Mutter Diabetes habe. Der Notfall ihrer Mutter sei noch einmal gut ausgegangen, aber so unvorbereitet wollte Beate Siede in Zukunft trotzdem nicht mehr sein.
Mit dem A-Ident Notfallpass, so nennen die Siedes die von ihnen entwickelten Aufkleber, sollen sich ähnliche Situationen zukünftigt vermeiden lassen. Angehörige von älteren Menschen oder auch Eltern von jungen Kindern können mit den auffälligen Stickern Rettungsärzten einen Hinweis auf wichtige Informationen geben. Denn hinter dem QR-Code lassen sich zum Beispiel die Blutgruppe, Notfallkontakte oder verschriebene Medikamente hinterlegen. Und diese Daten können jederzeit mit dem dazugehörigen Passwort aktualisiert werden.
Aufkleber am Handy oder Helm
Zum Abrufen sei jedoch kein Passwort nötig, sagt das Ehepaar - alle, die den QR-Code mit einer Handykamera einscannen, können die Informationen lesen, erklärt Andreas Siede. Dass so sensible medizinische Daten einfach für jeden abrufbar sind, dürfte bei vielen Bedenken hervorrufen. »Aber wir haben im Vorhinein mit Mitarbeitern vom Rettungsdienst gesprochen, und die haben uns gesagt, dass sie weder ein Passwort eingeben noch etwas freirubbeln würden.« Das System A-Ident müsse schnell und einfach zugänglich sein.
Die Siedes empfehlen, den Aufkleber zum Beispiel auf der Rückseite des Handys oder im Geldbeutel anzubringen. Beides Orte, die vielleicht nicht so einfach für Unbefugte zugänglich sind. Für die Fälle, in denen der Aufkleber für alle sichtbar angebracht werde - »unsere Enkel haben zum Beispiel welche am Fahrradhelm« - gebe es einen Abdeckaufkleber, der verhindere, dass jemand einfach im Vorbeigehen den Code einscanne.
Neben dem Aspekt, Medizinern schnell wichtige Informationen zukommen zu lassen, sieht Beate Siede dabei noch einen weiteren positiven Effekt: Die Auseinandersetzung mit einem möglichen Notfall in der Familie. Ein »Mama, Papa, wollen wir einmal darüber reden« könne so angestoßen werden, und Angehörige könnten sich gegenseitig über wichtige Medikamente oder Notfallkontakte aufklären. Mit der Idee konnten die Wiesecker bereits die Volksbank Mittelhessen begeistern, die den Notfallpass kostenlos an Schulanfänger zu Beginn des vergangenen Schuljahres ausgegeben hat.
Mehr Informationen unter www.schatzengel.de. Dort vertreiben Beate und Andreas Siede neben dem A-Ident Notfallpass, auch eine ähnlich funktionierende Hundemarke. Die soll es ermöglichen, schnell in Kontakt mit den Besitzern eines entlaufenden Vierbeiners zu treten.