1. Gießener Allgemeine
  2. Gießen

Ein Mann für viele Fälle

Erstellt:

Von: Kays Al-Khanak

Kommentare

oli_krueckemeier1_310123_4c_1
Torsten Krückemeier ist der Stellvertreter von Polizeipräsident Bernd Paul. © Oliver Schepp

Torsten Krückemeier ist neuer Vize-Präsident des Polizeipräsidiums Mittelhessen. Der 43-Jährige hat zuvor die App Hessenwarn entwickelt und war Vertreter für das Innenministerium in dem Ausschuss, der den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke untersucht. Er betont: Die Polizei sei nicht zum Selbstzweck da.

Mit seinen 43 Jahren hat Torsten Krückemeier bei der Polizei schon viel gesehen. Er war bei der Licher Bereitschaftspolizei und fuhr für die Polizeistation Gießen-Nord Streife. Er hat federführend die App Hessenwarn entwickelt und saß als ein Vertreter fürs Hessische Innenministerium im Ausschuss, der den rechtsextremistisch motivierten Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke aufklären soll. Nun ist er Vizepräsident des Polizeipräsidiums Mittelhessen.

Der Job eines Stellvertreters egal in welcher Branche ist nicht immer ein dankbarer. Auf der einen soll er den Chef adäquat ersetzen, wenn der nicht da ist, und ihm ansonsten loyal zur Seite stehen. Ein Stellvertreter steht auch im Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen der Mitarbeiter und der Führungsetage.

Mit einem Faible fürs Verkehrsrecht

Krückemeier kennt beide Seiten - die der Mitarbeiter und die der Leiter: Der gebürtige Sauerländer arbeitet seit 1998 bei der Polizei. Er sei ein Typ mit »ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn«, sagt er. Deshalb habe die Berufswahl für ihn Sinn ergeben. Zudem hätten ihn die vielen Möglichkeiten gereizt: Bei der Polizei könne man sich zum Hundeführer oder Hubschrauberpilot ausbilden lassen, zur See fahren oder in Fällen von Wirtschaftskriminalität ermitteln.

Krückemeier war bei der Bereitschaftspolizei bei Demos und bei Fußballspielen im Einsatz. Er fuhr in Gießen Streife und schloss später nach einem Umzug ins Saarland dort das Studium für den höheren Dienst ab. Auch war er als Dozent an der Fachhochschule der saarländischen Polizei für Verkehrsrecht zuständig. Sowieso das Thema Verkehr: Was vordergründig dröge wirken mag, sorgt bei Krückemeier für Emotionen. Dann ärgert er sich darüber, dass sich manche Menschen aufregten, wenn sich jemand in der Supermarktschlange vordrängelt, aber mit den Schultern zucken, wenn jemand mit Tempo 50 durch eine 30er-Zone vor einer Kita rauscht. »Bei einem Unfall macht das einen großen Unterschied«, sagt er.

2015 kehrte Krückemeier nach Hessen in die Leitung der Polizeidirektion für den Main-Kinzig-Kreis zurück, bevor er ins Innenministerium geholt wurde. Dort war er in Kooperation mit dem Frauenhofer Institut federführend an der Entwicklung der App Hessenwarn beteiligt. Die Polizei nutzt das Programm seit 2017, um Bürger über Sicherheitslagen zu informieren; die App verwenden auch die Feuerwehren oder das Hessische Umweltamt. »Es hat Spaß gemacht, ein System zu entwickeln, das der Bevölkerung hilft«, sagt er.

Hessenwarn sei nicht nur sinnvoll bei einer möglichen Amoklage, sondern auch bei einem alltäglichen Vermisstenfall. »Häufig sind es ältere Menschen oder solche mit psychischen Problemen, die wir suchen.« Gerade in Sachen Persönlichkeitsrechte ist das ein heikles Thema. Bei einer breiten Öffentlichkeitsfahndung übers Radio würde »das ganze Land« vom Zustand der Person erfahren. Über Hessenwarn hingegen könnten gezielt Bewohner von bestimmten Gebieten informiert werden. Als Beispiel nennt Krückemeier den Fall von drei Kindern, die in Osthessen bei einem Kitaausflug verschwunden waren und mit Hilfe von Hessenwarn schnell gefunden wurden.

Die alltägliche Polizeiarbeit ist das Terrain, auf dem sich Krückemeier wohlfühlt, das er immer wieder heranzieht, um Sachverhalte zu erläutern. Umso interessanter ist es, dass er sich später einer Aufgabe widmet, die für Polizisten ungewohnt ist - weil sie den Umgang im politischen Raum nicht unbedingt gewohnt sind. Im Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtages zum Mord an Lübcke war Krückemeier einer von zwei Vertretern des Innenministeriums. Er stellte den Mitgliedern die Akten zu Verfügung und stand ihnen Rede und Antwort. In dieser Rolle habe er eine große Verantwortung getragen, sagt er - nicht zuletzt gegenüber den Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden, die nach dem Bekanntwerden der Umstände um den verurteilten Täter Stephan Ernst in die Kritik geraten waren. Einer der Vorwürfe lautete, der Verfassungsschutz sei überfordert gewesen. Ernst sei als gewaltbereiter Rechtsextremist bekannt gewesen; der Verfassungsschutz habe ihn aber aus dem Blick verloren. Der Lübcke-Ausschuss geht weiterhin seiner Arbeit nach. Aber für Krückemeier ist dieses berufliche Kapitel mit dem Wechsel nach Gießen beendet.

Als Ziel hat er sich gesetzt, »innerhalb und außerhalb der Behörde viel miteinander zu reden« und so viele Menschen mitzunehmen, sagt er. Als Beispiel nennt er die Ehrung von Bürgern, die Zivilcourage gezeigt haben, durch die Polizei. Veranstaltungen wie diese zeigten, dass die Ermittlungsbehörde nicht zum Selbstzweck da sei, sondern sich in einem gesellschaftlichen Umfeld bewege. Dazu gehöre Bürgernähe, um Vertrauen zu den Menschen aufzubauen. »Dieses Vertrauen dürfen wir nicht enttäuschen.«

Als Vizepräsident ist Krückemeier auch Digitalisierungsbeauftragter. Gerade dort sieht er Herausforderungen für die Ermittlungsbehörden. »Wir müssen die Kriminalitätsbekämpfung neu denken«, sagt er. Dabei geht es nicht nur um die zunehmende Nutzung des Internets bei Straftaten. Auch die Beamten im Dienst brauchten Hilfestellungen, die ihnen den Dienst erleichtern. Ein Beispiel: »Mittlerweile hat jeder Beamte ein spezielles Polizei-Smartphone, um bei Unfallaufnahme alles gleich digital erfassen zu können.«

Diskussion über Einsatz von KI

Zum einen brauche es mehr Fachleute in der Digitalforensik, um den in allen Deliktfeldern anfallenden Datenmassen Herr zu werden. Zum anderen müssten sich die Behörden auch mit Softwarelösungen auseinandersetzen. Dazu gehört auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) - was aber durchaus rechtliche Fragen aufwirft. Krückemeier betont, KI habe bei der Strafverfolgung nichts mit dystopischen Hollywoodstreifen zu tun. »Es gibt klare rechtliche Voraussetzungen, wann solche Dinge genutzt werden können«, sagt er. Aber langfristig müsse sich die Gesellschaft entscheiden, wie der Datenschutz zukünftig aussehen wird: Sollen IP-Adressen bei der Kriminalitätsbekämpfung verpflichtend gespeichert werden oder bedeutet dies eine zu umfassende, digitale Überwachung? Der Polizist Krückemeier hat da eine klare Meinung: »Wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung.« Und der Vizepräsident sagt: »Wir müssen einen Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit herbeiführen.«

Auch interessant

Kommentare