Ein Konvoi als Hoffnungssymbol

Ein junges Pärchen, dazwischen eine Tüte, randvoll mit abgelegten Pullovern, Jeans und Shirts. Sein Ziel: Die Spendenstelle des Global Aid Networks (GAiN). In die vor der Tür parkenden LKW wird die Sachspende ihren Weg wohl nicht mehr finden, diese sind nämlich abfahrbereit. Ihr Ziel: die Ukraine.
Aus sechs LKW à zehn Tonnen Ladung besteht der Konvoi. Bei dem ersten Fahrer handelt es sich um Klaus Dewald, der GAiN seit der ersten Minute begleitet. Während des sogenannten Hungerwinters 1990 fuhr er einen der ersten Hilfstransporte mit Kleidung, Lebensmitteln und Medikamenten nach Riga und Leningrad. Aus der damaligen »Aktion Hungerhilfe«, an der sich viele Studierende des Campus für Christus beteiligten, wurde später das Hilfswerk GAiN.
Kein Halt an der Grenze
An der Fracht hat sich seitdem nicht viel geändert: Auch auf der aktuellen Fahrt in die Ukraine haben Dewald und seine Kollegen Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln und Milch dabei. Mit an Bord sind auch Stühle und Betten. Nun, da sich der Winter nähert, zählen auch Heizventilatoren und Zelte zur Fracht. Glanzstück des Konvois ist ein Küchencontainer, den die Feuerwehr Frankfurt spendete. Dieser arbeitet autonom und ist somit nicht auf ein Stromnetz angewiesen.
Gerade der Fakt, dass GAiN eben nicht an der Grenze zur Ukraine Halt mache, sondern bis ins Landesinnere weiterfahre, sei ein Alleinstellungsmerkmal, sagt Dewald: »Früher hat man viele ausländische Fahrzeuge gesehen, jetzt sind wir die einzigen. Die meisten bleiben an der Grenze. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sagen uns deshalb: ›Dass ihr zu uns kommt, bedeutet uns so viel‹.«
Das zusätzliche Risiko, das die GAiN-Mitarbeiter durch eine Fahrt ins Landesinnere auf sich nehmen, nimmt ihr Umfeld mit gemischten Reaktionen auf: »Ich bin Einzelkind«, erklärt Anna Pettkus, die mit ihrem Mann Nils zusammen das Projekt leitet und ebenfalls am Konvoi teilnimmt. »Natürlich hat meine Mutter Angst um mich. Andererseits fordert sie mich dann auch auf, unsere Verwandten zu grüßen, die sich noch immer dort befinden.« Ihr Mann Nils ergänzt: »Viele reagieren mit dem Satz ›Cool, dass ihr das macht - ich würde das nicht machen!‹ Und das finde ich völlig in Ordnung.« GAiN-Leiter Dewald erklärt, sein Testament gemacht zu haben. »Ich weiß, ich tue das Richtige.« Doch auch, wer sich der Meinung »Ich würde das nicht machen« anschließt, kann sich bei GAiN in vielfältiger Weise engagieren: durch das Richten von Hygiene- und Lebensmittelpaketen, als Packhelfer oder mit der Teilnahme an Aktionen wie »Deutschland strickt«.
Die fünf LKW, die aufgrund der Warenmenge noch um einen sechsten ergänzt wurden, werden ihre Reise in die Ukraine in mehreren Etappen bewältigen. Zunächst geht es nach Legnica in Polen, dann an die polnisch-ukrainische Grenze und schließlich ins Landesinnere. Der Konvoi sei ein Symbol der Hoffnung für die Menschen vor Ort, berichten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. »Der Hilfstransport bedeutet: ›Wir sind für euch da!‹«
Anna Pettkus verbrachte während ihrer Kindheit viel Zeit in der Ukraine, Teile ihrer Familie leben noch dort. Sie beschreibt die Lage vor Ort: »Die Ukraine ist nun ein Land der traumatisierten Menschen. Der Krieg hat sie schockiert. Viele, die evakuiert werden, kommen hungrig, verdreckt und müde bei uns an.«
Den »Wein der Hoffnung« trinken
Besonders, da sind sich alle vier GAiN-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einig, beeindrucke sie die Kraft und die Zuversicht, die die Ukrainer trotz des Krieges hätten. Harry Weiß, der ebenfalls schon mehrmals mit GAiN in der Ukraine war, veranschaulicht dies anhand eines Beispiels: »Wir waren in einem völlig zerstörten Wohngebiet unterwegs. Dort sahen wir einen Rebstock, der den russischen Angriff überlebt hatte. ›Kommt in einem Jahr!‹, forderten uns die Bewohner der zerstörten Häuser auf. ›Wir werden diese Trauben keltern und dann zusammen den Wein der Hoffnung trinken‹«.