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Dunkle Wolken zum Ende des Jahres

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Von: Christoph Hoffmann

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Tim Alexander Klotz hofft auf einen Fortbestand von Karstadt. © Oliver Schepp

Gießen (chh). Vor 100 Jahren erlebten die Menschen in Deutschland einen wirtschaftlichen Aufschwung, die »Goldenen Zwanziger« waren geboren. Die Zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts dürften hingegen als dunkle Episode in die Geschichte eingehen, zumindest ihre Anfangsjahre. Corona, Krieg, Gaspreise, Inflation: Alles Krisen, die Tim Alexander Klotz in seinem Beruf als Verkäufer bei Karstadt zu spüren bekommen hat.

»Dabei fing das Jahr 2022 eigentlich positiv an«, sagt Klotz und meint damit den Wegfall der meisten Corona-Beschränkungen im Februar. Sowohl privat als auch beruflich habe er sich auf eine Rückkehr zur Normalität gefreut. Doch diese Vorfreude war von kurzer Dauer. Am 24. Februar griff Russland die Ukraine an. Die Energiepreise schossen in die Höhe, die Inflationsrate ebenso. »Man dachte, dass nach Corona nichts Schlimmeres kommen könnte, doch dann folgte dieser unsägliche Angriffskrieg«, sagt Klotz.

Der 49-Jährige weiß, dass Krieg um Welten schlimmer ist als der Verlust von Kaufkraft. Dass Tod und Leid mit gestiegenen Preisen nicht aufzurechnen sind. Dennoch ist es Realität, dass viele Menschen in Deutschland weniger Geld zur Verfügung haben beziehungsweise ihr Geld weniger wert ist. Das habe sich auch in dem alterwürdigen Kaufhaus am Selterstor gezeigt, sagt der 49-Jährige. »Die Kaufzurückhaltung durch die Inflation hat sich stark bemerkbar gemacht.« Doch der beruflich schwerste Schlag sollte noch kommen.

Ende Oktober meldete Deutschlands letzter großer Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof zum zweiten Mal innerhalb von weniger als drei Jahren Insolvenz an und sucht Rettung in einem Schutzschirmverfahren. Ersten Ankündigungen zufolge will das Unternehmen im Rahmen der Sanierungsbemühungen mehr als 40 seiner verbliebenen 131 Kaufhäuser schließen. Inzwischen gibt es Meldungen, wonach deutlich mehr Filialen betroffen sein könnten. Ob Gießen dazugehört, hat Karstadt nie bestätigt, der Standort wird aber immer wieder als möglicher Streichkandidat genannt.

»Die Nachricht war natürlich ein Schock«, sagt Klotz. Gleichzeitig habe sie in der Belegschaft eine »Jetzt-erst-recht«-Stimmung erzeugt. Umso mehr ärgert sich Klotz über die aktuelle Verkehrs- und Baustellenplanung der Stadt. Die daraus resultierende schlechte Erreichbarkeit des Kaufhauses mache ihn wütend, sagt er, besonders in Zeiten, in denen der stationäre Einzelhandel um jeden Kunden kämpfen müsse.

Eine Schließung von Karstadt wäre das Ende dieses Kampfes und, so formuliert es Klotz, »der Sargnagel für den gesamten Seltersweg«. Daher hatte der Verkäufer auch gehofft, dass »sein« Karstadt, sollte es von der Schließung betroffen sein, von Investor Markus Schön von »buero.de« übernommen wird. Dazu wird es nun nicht kommen.

»Es hat sich das bestätigt, was viele befürchtet haben: Dass Herr Schön uns benutzt hat, um seine Bekanntheit zu erhöhen«, sagt der 49-Jährige.

Klotz hat einst sein Studium geschmissen, um Verkäufer zu werden. Weil er ein Faible für Mode hat und gerne mit Menschen arbeitet. Solch einen turbulenten Jahreswechsel hat er in 23 Jahren Karstadt aber noch nie erlebt. »Trotzdem gehe ich zuversichtlich ins neue Jahr«, sagt Klotz. »Meine Kollegen und ich lassen uns nicht unterkriegen.«

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