Duftklänge erfüllen die Abendluft

Unter großem Zuspruch des Publikums stellte Pianistin Nadia Singer ihr neues Programm »Farben der Musik« im Levi-Saal vor. Sie musizierte Werke von Debussy, Satie und Ravel und lieferte dazu eine interessante Moderation.
Nadia Singer ist hierzulande hinlänglich aus ihrer Zeit der Auftritte mit Rezitator Lutz Görner eingeführt, einem Duo, das stets niveauvolle Unterhaltung garantierte. Singer hat ihre eigenen Flügel schon ein Weilchen entfaltet, in Gießen letztmals im Frühjahr mit ihrem Programm zweier Sinfonien von Beethoven und Berlioz, einem machtvollen Auftritt.
Singer, Rachmaninow-Preisträgerin 2013, wurde vor 30 Jahren in Rostow am Don geboren und studierte auch dort. Ihre Mutter ist Konzertpianistin, der Vater Dirigent in einem Volksensemble. Mit vier Jahren begann sie, Klavier zu spielen und nach dem Konzertexamen in Rostow studiert sie nun bei Grigory Gruzman in Weimar.
Ihr aktuelles Programm ist ganz neu, in Gießen spielte sie es den zweiten Abend und legte los mit Debussys »Spiegelungen im Wasser«: sensibel, mit sehr deutlich herausgearbeiteten Schattierungen und subtiler Dynamiksteigerung.
In ihrer Moderation zeichnete Singer anschaulich das Dreieck der Zeitgenossen und Freunde Debussy, Satie und Ravel und zeigte anhand von Beispielen, wie die Musiker sich auch inhaltlich gegenseitig beeinflussten und ab und zu einfach voneinander klauten. Interessant, dass Satie zeitlebens als Komponist gering geschätzt wurde und sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen musste, während sein Freund Debussy schon auf den Wellen des Erfolgs surfte. Insgesamt setzte sie Pointen klug und dosierte den Humor sensibel und sehr natürlich.
Beim nächsten Mal spielt sie Gershwin
Singer ließ dann in Debussys Präludium »Die Klänge der Düfte erfüllen die Abendluft« mit schönen sanften Kontrasten die Dinge heranwehen und musizierte mit vollendeter sanfter Sensibilität.
Eine besondere Bildhaftigkeit verlieh sie Debussys »versunkener Kathedrale«, die sie so ausdrucksvoll realisierte, dass man die Bilder förmlich vor sich sah, bis am Ende das Meer die Kirche wieder in sich aufnahm; famos dargestellt, die Zuhörer waren hingerissen.
»Claire de lune« musizierte Singer mit größtem Feingefühl und liebevoller Zeichnung der Nuancen - eine sensible Klanghypnose, einfach zum Wegträumen. Bei Saties »Sarabande« überzeugte sie mit ihrer hochdifferenzierten Anschlagkultur und unerhört sanfter Darstellung, wunderschön. Überhaupt ist das Kapitel Satie eine der sanftesten Episoden in ihrem Repertoire. »Ich bin so froh, dass Maurice Ravel Satie für uns entdeckt hat« (Singer). Satie formulierte einst etwas verkniffen: »Meine Musik ist genauso schön wie Ravels, nur mit einem bisschen weniger Soße.« Zum Glück schloss sich wenigstens die Nachwelt seinem Urteil an, und Singer lieferte noch ein paar gute Beispiele.
Das Finale des Abends bildete Ravels »La Valse«, bei dem Singer die unruhige, widersprüchliche und ungemein realistische Art des Werks exzellent umsetzte. Fast vollkommen verborgen im Gewand eines Wiener Walzers ohne jede Seligkeit, vermeinte man plötzlich, Schlachtenlärm zu vernehmen: Geschrei, Kanonendonner, Bombenlärm - ein Inferno. Singer realisierte zum Ende hin die ganz großen Gesten todernst, mit heftigem Körpereinsatz, voller Leidenschaft und Hingabe - fast ergreifend. Die Zuhörer waren hingerissen.
Sie komme »bestimmt nach Gießen zurück«, sagte Singer am Ende, »dann mit einem Gershwin-Programm.« Schließlich hat sie sechs Jahre Jazzgesang studiert. Man darf sehr gespannt sein, was sie noch alles anstellt.