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Du bist nicht allein

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Der Tisch ist festlich gedeckt. Das Essen steht auf dem Herd. Doch die Musik aus dem Hintergrund wird übertönt vom disharmonischen Piepen medizinischer Geräte. Im Wohnzimmer herrscht Chaos. Tisch und Stühle sind zur Seite gerückt und auf dem Boden liegt ein Mann, um dessen Leben die Frauen und Männer des Rettungsdienstes vergeblich gekämpft haben.

So einfühlsam wie möglich erklärt der Notarzt der verzweifelten Ehefrau, dass keine Hilfe mehr möglich war. Nachdem die Helfer abgezogen sind, wird es still in der Wohnung. Zurück bleibt eine Frau, deren Leben sich von einer Sekunde auf die andere komplett verändert hat.

Mich hat die Leitstelle zwischenzeitlich als Notfallseelsorger dazu gerufen. Eine Zeit sitzen wir uns schweigend gegenüber. Einfach da sein, zuhören, gemeinsam die Trauer, den Schmerz aushalten - das ist jetzt das Wichtigste. Vielleicht erste kleine Schritte aus dem Chaos der Gedanken machen. »Gibt es jemand, den Sie jetzt gerne bei sich hätten?« »Ich bin ganz allein. Meine Tochter lebt im Ausland.« Und nach einigem Zögern: »Eine Freundin wohnt zwei Straßen weiter. Aber jetzt nach Mitternacht kann ich die nicht mehr anrufen.« Doch. Können wir. Kurze Zeit später ist sie da.

»Du bist nicht allein heute Nacht. Ich bleibe hier bei dir.« Ein Lichtblick im Dunkel der Katastrophe. »Wenn ich selbst sprachlos bin, erinnere ich mich daran, dass Gott schon immer vor mir am Einsatzort ist. Aus den Scherben des Lebens kann mit Gottes Hilfe etwas Neues entstehen, und wir können etwas dazu beitragen«, sagt eine Notfallseelsorgerin aus unserem Team.

Das Vertrauen darauf, dass Menschen im Leid die Nähe Gottes erfahren, gibt Hoffnung. »Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir,« heißt es im 139. Psalm. Trost für Betroffene und Motivation für Helfer - nicht nur in der Notfallseelsorge.

Pfarrer Hans-Theo Daum ist stv. Dekan Ev. Dekanat Gießener Land und Pfarrer für Notfallseelsorge.

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