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Drogen-Unterschlupf verschlossen

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Von: Christoph Hoffmann

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Dieser Raum ist nun für die Drogenszene nicht mehr zugänglich. Besonders der Crack-Konsum sorgte für eine bedrohliche Entwicklung. © Oliver Schepp

Der Verschlag unter den Sachsenhäuser Brücke war für die Drogenszene eine beliebte Anlaufstelle. Nun hat die Stadt diesen Raum verschlossen. Nicht nur wegen verärgerter Anwohner, sondern auch zum Schutz der Süchtigen und der Sozialarbeiter. Andreas Schmidt, der Leiter der Wohnungslosenhilfe »Brücke«, hält die Schließung daher für richtig.

Das Lahnufer unterhalb der Sachsenhäuser Brücke ist eigentlich ein idyllischer Ort. Im Sommer sitzen Gießener dort am Wasser, essen Eis. Seit einiger Zeit ist der Bereich aber auch bei der heimischen Drogenszene beliebt. Das liegt vermutlich weniger an der schönen Aussicht auf die Lahn. Vielmehr befindet sich unter der Brücke ein kleiner Raum, der sich ideal als Rückzugsort eignet, auch um dort ungestört Drogen zu konsumieren. Diesen Verschlag hat die Stadt nun baulich verschlossen. Durch Beobachtungen von Polizei, Ordnungsbehörde und Sozialarbeitern sei festgestellt worden, dass sich die Situation vor Ort drastisch verschärft habe und nicht mehr mit anderen Mitteln reagiert werden könne, begründet die Stadt die Maßnahme.

Im Sommer wurde es auch einigen Bewohnern der Schützenstraße, deren Gärten an das Areal rund um den Ufer weg grenzen, zu viel. Jeden Tag wurde in den Büschen direkt vor ihren Gartenzäunen mit Drogen gehandelt, überall lagen Spritzen, angebrannte Löffel, Mullbinden, Desinfektionsmittel und die Notdurft der Menschen herum. Es gab zudem mindestens zwei Einbrüche in die benachbarte Gasttronomie.

Die Stadt reagiert mit der Schließung des Verschlags zwar auch auf diese Anwohnerbeschwerden. Das ist aber nicht der einzige Grund für die Maßnahme. So habe es zunehmend Vorfälle in diesem Bereich gegeben, bei denen die Personen gewalttätig wurden und nicht mehr ansprechbar gewesen seien. Es habe die Gefahr von drohender Eskalation bestanden: »Von einem gewissen Anteil der Personen, die sich dort aufhielten, geht bedauerlicherweise eine massive Gefahr für den Rest der Gruppe und für Unbeteiligte aus«, teilt die Stadt mit.

Die Gefährdetenhilfe der Wohnungslosenhilfe »Brücke« ist eine zentrale Stelle in Gießen, die sich für wohnungslose und häufig suchtkranke Menschen einsetzt. Leiter Andreas Schmidt ist ein sensibler und kommunikativer Umgang mit den Betroffenen wichtig. »Wir wissen, wie kontraproduktiv solch eine Vertreibungspolitik sein kann«, sagt Schmidt. Die Problematik werde dadurch oft nur an einen anderen Ort verlagert, wodurch die Sozialarbeiter den Betroffenen noch weniger helfen könnten. In diesem konkreten Fall habe die Stadt aber keine andere Wahl gehabt, es habe sich auch nicht um einen Schnellschuss gehandelt.

Crack breitet sich in Gießen schnell aus

Eine Arbeitsgruppe, die sich zum Thema Räumung Sachsenhäuser Brücke aus Mitgliedern des Runden Tisches »Zusammenleben in der Innenstadt« zusammengesetzt hat, hätte ein Eingreifen befürwortet, sagt Schmidt. »Die Lage hat sich enorm zugespitzt«, betont er. »Zum ersten Mal hat mir mein Team aus sehr erfahrenen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern mitgeteilt, dass es für sie zu gefährlich geworden ist, unter die Sachsenhäuser Brücke zu gehen.« Auch für die Drogensüchtigen selbst habe durch verfeindete Gruppen eine Gefahr für Leib und Leben bestanden. »Ich kann es leider nicht anders sagen«, betont Schmidt und fügt an: »Wir waren mit unseren Mitteln am Ende.«

Man merkt dem Leiter der Gefährdetenhilfe an, dass ihm die Zustimmung zur Räumung nicht leichtgefallen ist. Schließlich verfolgt die aufsuchende Sozialarbeit einen integrativen und kommunikativen Ansatz, sie will die Interessen von Suchtkranken vertreten und nicht mit dem Dampfhammer draufhauen. »Wir haben in diesem Fall aber keine andere Möglichkeit gesehen. Zum Schutz unserer Mitarbeiter, aber auch zum Schutz der Menschen unter der Brücke, die für Sozialarbeit nicht mehr empfänglich sind.«

Das habe viel mit der rasanten Ausbreitung des Crack-Konsums in Gießen zu tun, sagt Schmidt. »Die Kontaktaufnahme mit diesen Menschen ist fast unmöglich geworden. Das ist eine wahnsinnig schwere Aufgabe, wir stehen vor ganz neuen Herausforderungen.« Die Räumung liegt bereits einige Tage zurück. Laut Schmidt haben die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter beobachtet, dass einige Suchtkranke seither wieder stärker für die Hilfsangebote empfänglich seien. Zweifelsfrei ist die »Brücke« in der Innenstadt ein besserer Ort für Drogenabhängige als jene mit dem Verschlag an der Lahn.

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