Gießen: Drogen-Prozess bis mindestens Juni anberaumt
Der Prozess gegen mutmaßliche Drogenhändler wird das Landgericht Gießen Justiz noch länger beschäftigen. Wegen der Komplexität könnte sich der Prozess über den Sommer hinaus ziehen.
Gießen – Der Prozess um mutmaßliche Drogenhändler mit Verbindungen zu einem vor allem auf dem Balkan operierenden Kartell wird die Gießener Justiz noch länger beschäftigen. Waren bei Prozessbeginn am Landgericht Gießen im Oktober Verhandlungstage bis Ende Januar geplant, wird das Verfahren nun mindestens bis Ende Juni dauern. Wegen der Komplexität und des juristischen Kampfs durch die Verteidigung des 46 Jahre alten Hauptangeklagten aus Gießen wäre es nicht verwunderlich, sollte selbst dann noch nicht Schluss sein.
Die Staatsanwaltschaft wirft drei Angeklagten vor, zehn Kilo Heroin und 45 Kilo Kokain transportiert zu haben – nach Gießen, aber auch aus den Niederlanden, Spanien oder Kroatien nach Montenegro. Der Gießener soll von einem 45 Jahre alten Mann aus Marburg und einem 63-jährigen Kreis-Gießener unterstützt worden sein. Das Verfahren ist eines der ersten bundesweit, das auf von Europol übermittelten Daten aus gehackten Krypto-Handys des Anbieters SKY-ECC basiert.
Drogen-Prozess in Gießen: Konflikt zwischen Clans beschäftigt Ermittler europaweit
Hatte sich das Verfahren unter der Leitung des beneidenswert geduldigen Richters Peter Neidel bisher vor allem um das Rohmaterial der von französischen an deutsche Behörden übersandten Daten gedreht, sprechen die Verfahrensbeteiligten nun über die Frage, wie die Kennungen der abhörsicheren Mobiltelefone den Angeklagten zugeordnet werden konnten. Am Freitag berichten eine Beamtin des Bundeskriminalamts (BKA) sowie der BKA-Hauptermittlungsführer über weitere Identifizierungsmerkmale und geben schlüssellochgroße Einblicke in einen blutigen Konflikt zwischen zwei montenegrinischen Clans. Wie ihre Kollegen am Mittwoch sprechen sie von Übereinstimmungen von Standortdaten, Fotos und Chatverläufen, die auf den dem Hauptangeklagten und dem Angeklagten aus Marburg zugeordneten Krypto-Handys gefunden worden seien.

Ein Puzzleteil dabei ist ein Ferrari, den die Ermittler beschlagnahmt haben. Dieser sei von dem Marburger bei der Zulassungsstelle angemeldet worden - was dessen Verteidiger Philipp Kleiner und Sascha Marks anzweifeln. Jedoch, teilt die BKA-Beamtin mit, hätte es auf dem Smartphone des Marburgers einen Chat mit dem Hauptangeklagten über den Ferrari gegeben. Dass der Gießener ebenfalls mit dem Auto in Verbindung gebracht werden könne, zeigten Fotos, auf denen das Fahrzeug auf seinem Grundstück zu sehen ist - mit dem Hund der Familie auf der Heckklappe drapiert.
Dieser Ferrari, schildert die Ermittlerin, habe früher einem Mann gehört, der eine Führungsperson eines Clans in Montenegro gewesen sein soll. Dieser ist mit einem zweiten montenegrinischen Clan verfeindet, der in dem Verfahren schon einmal Thema war und zu dem die Angeklagten Verbindungen gehabt haben sollen. Diese beiden Clans liefern sich seit Jahren einen blutigen Konflikt, der europaweit Ermittler beschäftigt.
Drogen-Prozess in Gießen: Schuldner soll mit Fotos von Leichen unter Druck gesetzt worden sein
Der ehemalige Ferrari-Besitzer sei Mitte Oktober 2020 aus seiner Wohnung in Montenegro entführt, erpresst und gefoltert worden, sagt die BKA-Beamtin, bevor er schließlich ermordet worden sei. Wie der Ermittlungsführer des BKA mitteilt, sei in diesem Zusammenhang ein Vertrauensmann der Clan-Führungsfigur über dessen SKY-ECC-Handy in eine Falle gelockt und brutal ermordet worden. Zwei Fotos von dem Leichnam soll einer der beiden Köpfe des anderen Clans dem Hauptangeklagten aus Gießen zugeschickt haben, um einen Schuldner unter Druck zu setzen.
Der BKA-Beamte betont, dass der Gießener nichts mit diesen Tötungsdelikten zu tun habe und es nicht erwiesen sei, dass er die Fotos als Druckmittel eingesetzt habe. Die Bilder werden den Verfahrensbeteiligten gezeigt – aber nicht der Öffentlichkeit. Einer der drei Anwälte des Hauptangeklagten, Andreas Milch, spricht von »ekelhaften Bildern«, und auch Richter Neidel betont: »Mir macht das keinen Spaß, die Bilder anzuschauen.«
Rechtsanwalt Tomasz Kurcab, der ebenfalls den Gießener Geschäftsmann vertritt, widerspricht auch an diesem Verhandlungstag der Verwertbarkeit der SKY-ECC-Daten. Er verweist dabei auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem November 2022, wonach die Weitergabe persönlicher Daten an andere Behörden durch den Verfassungsschutz nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Staatsanwältin Mareen Fischer kritisiert den Antrag als »Wiederholung des Eröffnungs-Statements« der Verteidigung und verweist darauf, dass die Verwertbarkeit der gehackten Daten geltendes Recht sei – »auch wenn Ihnen das nicht gefällt«. (Kays Al-Khanak)