Diskriminierung oder notwendiger Schutz?

Männer, die mit Männern schlafen, haben oft mit Diskriminierungen zu kämpfen. »Schwul« gilt immer noch als Schimpfwort, nicht nur unter Jugendlichen. Heiraten, eine Familie gründen, womöglich Kinder adoptieren? Jahrzehntelang war das undenkbar. Einige Diskriminierungen sind in Deutschland aber auch abgebaut worden, Stichwort »Ehe für Alle«. Gesundheitsminister Karl Lauterbach will dies fortführen und nun auch »unvertretbare, medizinisch unnötige Diskriminierungen« homosexueller Männer bei Blutspenden beseitigen.
Die deutsche Aidshilfe begrüßt diesen Vorstoß. Es gibt aber auch Stimmen aus der schwulen Community, die das differenzierter sehen. Zum Beispiel Martí Klatt, Geschäftsführer der Gießener Aidshilfe.
Das Risiko der Fensterphase bleibt
2021 sind in Deutschland laut Paul-Ehrlich-Institut knapp 6,5 Millionen Blutspenden gesammelt worden. Das ist ein merklicher Rückgang, 2011 waren es noch 7,6 Millionen. Für die Medizin ist dieser Trend fatal: Ohne Blutspenden sind viele Therapien und Operationen nicht durchführbar. Aktuell ist der Bedarf wegen hoher Krankenzahlen und Urlauben besonders hoch. Blutspendedienste im ganzen Land rufen daher zu Spenden auf.
Es gibt unterschiedliche Gründe, warum bestimmte Menschen kein Blut spenden dürfen. Das Alter spielt eine Rolle, Vorerkrankungen ebenfalls, nach Tätowierungen oder Piercings müssen mindestens vier Monate vergangen sein. Auch das Sexualverhalten der Spender ist ein entscheidender Faktor und hier kommt die Ungleichbehandlung von heterosexuellen und homosexuellen Menschen ins Spiel. Bei Sex zwischen Frau und Mann wird für vier Monate zurückgestellt, wer »häufig wechselnde Partner bzw. Partnerinnen« hat. So ist es in der Richtlinie der Bundesärztekammer festgehalten. Bei Männern, die Sex mit Männern haben, greift die viermonatige Rückstellung bereits nach einem Sexualkontakt mit einem neuen oder mehr als einem Partner.
Lauterbach will diese Ungleichbehandlung streichen. »Die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität dürfen keine Ausschluss- oder Rückstellungskriterien sein«, heißt es in einem Änderungsantrag zum Transfusionsgesetz. Dadurch soll die Bundesärztekammer verpflichtet werden, ihre Blutspenderichtlinie zeitnah zu ändern.
Prof. Gregor Bein treibt die aktuelle Debatte Sorgenfalten auf die Stirn. »Nach meinem Dafürhalten ist das ein politisches Missverständnis«, sagt der Leiter des Zentrums für Transfusionsmedizin und Hämotherapie am UKGM, der in dieser Angelegenheit auch die Bundesärztekammer berät. In der Debatte werde so getan, als ob Männer, die mit Männern Sex haben, überhaupt nicht Blut spenden dürften. »Das stimmt aber nicht. Männer, die in einer festen Partnerschaft leben, dürfen sehr wohl spenden. Sie sind auch bei uns willkommen, lieber heute als morgen«, sagt der Mediziner. Die Rückstellung betreffe lediglich Männer, die in den vergangenen vier Monaten mit einem neuen Partner geschlafen haben, hebt Bein hervor. Und dies hat in den Augen des Mediziners gute Gründe.
2021 haben sich laut Robert-Koch-Institut 1160 Männer auf sexuellem Weg mit HIV infiziert. »1000 hatten zuvor Sex mit Männern. Das sind 86 Prozent der sexuell erworbenen HIV-Infektionen bei Männern«, betont Bein. Die aktuelle Regelung sei daher infektionsepidemiologisch begründet und nicht als Diskriminierung sexueller Orientierungen zu verstehen.
HIV gilt noch immer als Damoklesschwert, das über der Blutspende schwebt. Früher war diese Sorge auch berechtigt. Anfang der 80er Jahre, als sich Aids in den USA ausbreitete, infizierten sich viele Menschen durch Bluttransfusionen. Damals gab es noch keine zuverlässigen Tests zum Nachweis. Heute ist die Wahrscheinlichkeit, sich durch Blutspenden anzustecken, verschwindend gering. Laut RKI liegt das Risiko einer Fensterphasenspende bei unter eins zu fünf Millionen.
Meinung unter Schwulen gespalten
Fensterphase bezeichnet die Lücke zwischen Ansteckung und dem Zeitpunkt, ab dem eine Infektion nachgewiesen werden kann. Auch heute sind diese Fensterphasen bei der Blutspende ein Problem, sagt Bein. »Etwa zehn bis 14 Tage nach einer Infektion gibt es eine Phase, in der sich das Virus im Organismus vermehrt, aber in einer kleinen Probe von einigen Millilitern nicht nachweisbar ist.« In der zu transfusierenden Spende, die 500 Milliliter umfasse, könnten hingegen genug Viren enthalten sein, um eine Infektion zu verursachen.
Sex eines Mannes mit einem neuen Partner oder mit mehreren Partnern sei mit Blick auf die Daten des RKI mit einem deutlich höheren HIV-Infektionsrisiko verbunden als Sex zwischen Mann und Frau. »Dieses Risiko lässt sich auch nicht weiter eingrenzen, es ist alles versucht worden«, sagt Bein und fügt an: »Das Wichtigste bei der Blutübertragung ist und bleibt nunmal der Schutz der Empfänger.«
Martí Klatt, Geschäftsführer der Gießener Aidshilfe, lebt in einer Partnerschaft mit einem Mann. Durch die bestehende Regelung fühlt er sich dennoch nicht diskriminiert. »Als schwuler Mann muss man wissen, dass man in einer anderen Lebenswelt unterwegs ist, in der HIV eine größere Rolle spielt.« Ein Großteil des Infektionsgeschehens in Deutschland spiele sich nun einmal unter Männern ab, die Sex mit Männern haben. Das sei keine Diskriminierung, sondern medizinischer Fakt.
Klatt weiß, dass viele Schwule anders denken. Er könne auch verstehen, dass der Ausschluss von der Blutspende von einigen als diskriminierend und kränkend wahrgenommen werde. Er sehe die Debatte jedoch nüchterner: »Wenn ein Großteil der Übertragung durch die Rückstellung einer kleinen Gruppe ausgeschlossen werden kann, ist das nachvollziehbar«.
Trotzdem ist Klatt offen für Neuerungen. Dabei schaut er zum Beispiel nach England. Dort werde nicht nach dem Geschlecht des Sexualpartners gefragt, sondern etwa, ob der potenzielle Blutspender Analverkehr hatte oder während des Sex Drogen genommen hat. Das mache Sinn, da sich das Virus von Samenflüssigkeit über Darmschleimhaut besonders leicht übertrage und im Rausch Schutz wie Kondome oft vernachlässigt würde, sagt Klatt. »Durch diese Regelung wird der Fokus mehr auf das Risiko gelegt und weniger auf Kategorien.«
Klatt weiß genau, dass Homosexuelle mit Benachteiligungen leben müssen. In der aktuellen Debatte ist das Wort »Diskriminierung« ihm zufolge jedoch fehl am Platz. »Das Virus diskriminiert nicht«, betont Klatt. »Es sucht sich den einfachsten Weg.« FOTO: DPA
Gesundheitsminister Karl Lauterbach will Beschränkungen beim Blutspenden für schwule Männer abschaffen. Prof. Gregor Bein von der Blutbank des UKGM sieht den Plan kritisch. Und die Gießener Aidshilfe?
Von Christoph Hoffmann