1. Gießener Allgemeine
  2. Gießen

»Der Beste von Gießen«: Pizzabäcker wollte eigentlich Fußballprofi werden

Erstellt:

Von: Annette Spiller

Kommentare

Gianni2_070722_4c_1
Mit einem doppelten Espresso und einem Lächeln im Gesicht beginnt Giovanni Ambrosio, den alle Gianni nennen, den Tag in seiner »Pizza Pie«. © Annette Spiller

Wenn Giovanni Ambrosio strahlt, dann geht die Sonne in der »Pizza Pie« in Gießen auf. Der agile 63-Jährige ist Gastronom mit Leidenschaft.

Gießen – Buongiorno!« ruft der Chef, den alle Gianni nennen, schon von der obersten Treppenstufe vor der Eingangstür. Um 10.15 Uhr ist noch Zeit für ein Gespräch auf der Dachterrasse, von der man beim Schlemmen auf die Bäume des Alten Friedhofs schauen kann. »Vor drei Jahren haben wir sie neu gestaltet, mit Boden, Glasumrandung und Markisen«, erzählt der Wirt, der im April sein 30-Jähriges in der »Pie« hatte. An der Wand finden sich Malereien von der Piazza, den Gassen und dem Brunnen aus seinem Kindheitsort.

Nächstes Jahr gibt es die Gaststätte 60 Jahre in Gießen. Einst gegründet, um den hier stationierten US-Soldaten etwas Heimatgefühl zu geben, als die Pizza hierzulande noch nicht sehr verbreitet war, erzählt der Gastronom. 1992 hat Gianni mit zwei Freunden das renommierte Restaurant übernommen - »und ohne eingebildet zu sein, meine ich, dass wir auch heute noch sehr gut kochen«, bekräftigt er.

Gastronomie in Gießen: Giovanni Ambrosio von „Pizza Pie“ wollte eigentlich Fußball-Profi werden

Dass er einmal in Gießen bleiben würde, hätte Gianni selbst nicht für möglich gehalten, als er 1975 als 16-Jähriger hier ankam: »Heute bin ich aber ein hundertprozentig waschechter Gießener!« Der Junge aus einem kleinen Dorf in den Bergen in der süditalienischen Provinz Salerno, der nach fünf Jahren Schule schon mit elf Jahren zu arbeiten begann, folgte seinem Herzen (»Deutschland kam mir immer wie ein Märchen vor«) - und einigen Menschen aus dem Ort, die bereits in Gießen in der Gastronomie tätig waren. »Obwohl ich ursprünglich eigentlich Fußballprofi werden wollte«, lacht er.

Stattdessen arbeitet er zwei Jahre in der »Kupferkanne« in der Küche, danach an der Theke und im Service im »El Gaucho«, im »Löwen«, der Pizzeria »Capri«, der »Trattoria«. Er hängt sich rein, schaut, lernt das Geschäft beim Tun und die Sprache gleich dazu. Doch Küche ist nicht seins - »obwohl ich ein ganz guter Pizzabäcker bin«. Aber er will Leute sehen, mit ihnen reden, draußen sein bei den Gästen. Und merkt: Dabei lerne ich fürs Leben, gewinne Menschenkenntnis, sammle Erfahrungen, finde sogar Vorbilder, die mich beeindrucken und prägen. Vier Jahre betreibt er den damaligen »Hessischen Hof«, das heutige »Justus«. Und danach kommt schon die »Pie« - »mein Kind«.

„Pizza Pie“ in Gießen: Von den Gästen viel fürs Leben gelernt

Seit 15 Jahren führt er das Lokal mit Gastraum, Saal, Terrasse und Garten nun gemeinsam mit seiner Frau Carmela, die gerade aus dem Fenster der Wohnung über den Gasträumen herunterwinkt. Seine Rolle in der »Pie«? »Gianni ist der Boss«, sagt sie. »Er hat die Kontrolle und alles im Blick und kann sehr gut mit den Gästen, setzt sich auch mal spontan dazu, wenn Zeit ist.« Kennengelernt haben sich die beiden in seinem Heimatort, in dessen Nähe sie bis heute ein Haus haben und jedes Jahr für drei Wochen Urlaub machen. Seit 1990 sind sie verheiratet, haben zwei Töchter. Melissa arbeitet bei Microsoft in Dublin, Gießenerin Silvia macht gegenwärtig Furore als Profi-Tennisspielerin. Wenn es personell eng ist, helfen beide auch mal bei den Eltern aus - zum Beispiel in der Corona-Zeit, als Gianni selbst Essen ausgeliefert hat.

Gastfreundschaft geht Giovanni Ambrosio mit seinem neun- bis zehnköpfigen Team über alles: »Zu uns kommt ein bunt gemischtes Publikum - viele sind Stammgäste. Alle sollen sich beim Hereinkommen fühlen, als seien sie bei einer italienischen Familie eingeladen.« Dass er selbst immer wieder durch neue Menschen bereichert wird, schätzt er sehr - merkt aber auch, dass er nicht mehr so gelassen wie früher wegsteckt, wenn vieles gleichzeitig passiert: »Telefon, Service und 20 Gäste, die auf einmal durch die Tür treten parallel - da springt man ganz schön von links nach rechts.«

„Pizza Pie“ in Gießen: „Ein gutes Gedächtnis für Gäste und ihre Vorlieben ist sehr hilfreich“

Was ein Kellner können muss? »Er braucht Menschenkenntnis. Jeder Gast ist anders, man kann nicht mit jedem gleich umgehen. Ein gutes Gedächtnis für Gäste und ihre Vorlieben ist sehr hilfreich.« So viele Gesichter sind Gianni vertraut. Oft drehen sich die Gespräche um Italien, vielleicht die letzte Reise - »dann möchten wir für den Gast ein bisschen Urlaubsgefühl zurückgewinnen«. Den perfekten Gast - gibt es den? Gianni nickt. Für ihn sind das solche, die nett und loyal sind und ihm ehrlich sagen, falls etwas nicht so sehr nach ihrem Gusto war. »Nur dann können wir uns verbessern.«

Seinen Tag startet Gianni in Ruhe mit einem doppelten Espresso und der Zeitung, bevor er ins Büro geht - »ich mag keine Altlasten, das stresst mich«, sagt er. Danach geht er einkaufen, um 11.30 Uhr kommen bereits erste Mittagsgäste. Zwischen 14.30 und 17 Uhr ist Pause, von 17.30 Uhr bis 22, 23 Uhr ist die »Pie« abends geöffnet. Montagnachmittags und dienstags ist geschlossen - da bleibt auch mal Zeit für anderes. Zum Beispiel für Tennis beim TC Wettenberg, fürs Laufen oder Unternehmungen.

Sein Lieblingsgericht von der Karte? »Pizza«, lacht er. »Könnte ich immer essen.« Und das tut er auch, wenn es ruhiger wird im Lokal und er sich mit seiner Frau Essen bestellt an ihren Tisch neben der Theke. Das ist ihnen heilig. Könnte allerdings auch sein, dass er sich dann noch mit einem schönen Glas Rotwein zu Freunden oder langjährigen Gästen setzt. Zuhört, redet - und strahlt. Wie Gianni so als Chef ist? Sein langjähriger Kellner Domenico zögert keine Sekunde: »der Beste von Gießen«. (Annette Spiller)

Neue Gastronomie: Das »Skafos« setzt an der Lahn in Gießen die Segel.

Auch interessant

Kommentare