Kinderklinik in Gießen an Grenze der Kapazität: „Die Lage ist angespannt“
In Gießen müssen immer mehr Kleinkinder und Säuglinge behandelt werden. Der stellvertretende geschäftsführende Oberarzt der Kinderklinik im Interview.
Herr Dr. Kamrath, bundesweit weisen Kinderkliniken darauf hin, aktuell am Limit zu arbeiten. Wie ist die Lage in der Kinderklinik am Uniklinikum Gießen-Marburg?
Die Lage ist auch bei uns in Gießen angespannt. Wir haben ein hohes Patientenaufkommen, das vor allem über die Notfallambulanz kommt. Dabei handelt es sich meist um Säuglinge und Kleinkinder mit Atemwegsinfektionen und -erkrankungen. Auch wir stoßen bei unseren Kapazitäten für die stationären Aufnahmen an unser Limit, weil wir auch andere Kinder zum Beispiel mit chronischen Erkrankungen dort betreuen. Aber: Jedes Kind, das medizinische Versorgung benötigt, wird auch versorgt.
Wie reagieren Sie auf diese Situation?
Wir versuchen, weniger geplante stationäre Aufnahmen zu haben und mehr Kapazitäten für die Aufnahme aus der Notfallambulanz vorzuhalten. Solche geplanten Aufnahmen werden dann verschoben, sofern es medizinisch vertretbar ist. Eine Terminverschiebung ist natürlich für den Patienten oder die Eltern ärgerlich und für alle Seiten unangenehm, aber wir müssen mit der aktuellen Situation angemessen umgehen.
Gießen: Notfallambulanz in der Kinderklinik ausgebaut
Was passiert, wenn die Kapazitäten dann trotzdem an ihre Grenzen stoßen?
Zum Glück haben wir die Notfallambulanz vor der Corona-Pandemie ausgebaut, sodass Patienten auch dort übernachten sowie betreut und versorgt werden können. Wenn auch dort die Kapazitäten ausgeschöpft sind, werden in unseren Zweibettzimmern auf der Station drei Patienten zusammengelegt, sofern das infektiologisch möglich ist. Und wenn gar nichts mehr geht, versuchen wir, die Patienten in umliegende Kinderkliniken zu verlegen. Da merken wir, dass es zunehmen schwierig wird, ein freies Bett zu finden. In der Regel gelingt es aber.

Sie sprachen davon, dass es vor allem die Atemwegserkrankungen sind, die für die hohe Patientenzahl sorgen. Liegt dies am Zusammentreffen einer sehr frühen Influenzawelle mit vielen Erkrankungen mit dem RS-Virus?
Das ist richtig. Wir haben aktuell zwei Infektionswellen, die zeitlich parallel auftreten. Die Influenza beschäftigt uns in der Regel erst ab Januar und Februar, in diesem Jahr aber bereits jetzt. Das RS-Virus ist für uns altbekannt, da gibt es jedes Jahr im Herbst und im Winter viele Kleinkinder, die wir mit RS-Virusinfektionen in unserer Notfallambulanz sehen. Und wir haben immer Patienten, die so krank sind, dass sie stationär aufgenommen werden. Eine Ausnahme haben die vergangenen zwei Jahre gebildet. Gründe sind die Corona-Schutzmaßnahmen wie Kontaktbeschränkungen, das Tragen der Masken, der Ausfall der Kitabetreuung und Lockdown.
RS-Virusinfektionen meist in den ersten beiden Lebensjahren
Was ist die Folge davon?
Der überwiegende Teil der Kinder macht in den ersten zwei Lebensjahren eine RS-Virusinfektion durch. Das kann ein ganz banaler Erkältungsinfekt sein, mit Husten und Schnupfen. Aber bei einem gewissen Teil der Kinder, vor allem die jüngeren oder die mit Vorerkrankungen oder Risikofaktoren wie bei Frühgeborenen, kann die Erkrankung schwerer verlaufen. Mein Eindruck ist der, dass die Kinder nicht kränker sind. Aber wir haben jetzt zwei Jahrgänge, die kaum Kontakt mit diesem Virus hatten. Aus diesem Grund sind aktuell so viele Kinder von der Erkrankung gleichzeitig betroffen.
Was sind die Symptome des RS-Virus?
Es sind vor allem Säuglinge und Kleinkinder unter zwei Jahren, die wir stationär aufnehmen müssen. Sie zeigen alle eine angestrengte Atmung. Das sieht man daran, dass sie schnell atmen, viel husten. Sie müssen sich das vorstellen wie bei jemandem, der einen Hundert-Meter-Lauf hinter sich hat und tief und angestrengt atmet. Nur, dass die Kinder eben keinen Sport gemacht haben.
Experte aus Gießen: Keine spezielle Therapie gegen das RS-Virus
Welche Therapie ist nötig?
Gegen das RS-Virus gibt es kein spezielles Therapiemittel. Das ist in der Regel auch nicht notwendig, weil das Immunsystem das von alleine schafft. Aber wir müssen teilweise symptomatisch helfen. Zum Beispiel geben wir Sauerstoff, wenn die Sauerstoffsättigung im Blut zu niedrig ist.
Hinzu kommen abschwellende Maßnahmen, eine Inhalationstherapie und manchmal eine Behandlung mit Cortison, wenn die Atemwege durch die Infektion sehr eng sind. Gerade Säuglinge trinken bei einer solchen Infektion schlecht. Dann ist zusätzlich eine Flüssigkeitstherapie nötig. Nach zwei bis drei Tagen geht es den Kindern wieder besser. Sie können dann wieder aus der Klinik entlassen werden.
Kinderklinik in Gießen: Auch unter den Mitarbeitenden sind viele krank
Krankheitswellen gibt es aktuell auch bei den Erwachsenen. Wie sieht die Lage bei den Mitarbeitenden der Kinderklinik aus?
Wie bei jedem Betrieb auch gibt es bei uns in der aktuellen Infektsaison Krankmeldungen. Das verschärft natürlich die Lage, aber aktuell können wir alle Abteilungen besetzen. Das UKGM macht diesbezüglich Angebote, die viele Mitarbeiter annehmen: von der Grippeschutzimpfung bis zur CoronaSchutzimpfung mit dem angepassten Vakzin.
Das Land und die Betreiberin des UKGM, Rhön/Asklepios, haben sich im Streit um das Zukunftspapier und die finanzielle Unterstützung der Klink geeinigt. Welche Auswirkungen erhoffen Sie sich?
Ich erwarte mir eine Verbesserung vor allem bei den notwendigen Investitionen in Medizinprodukte. In der Kinderklinik zum Beispiel betrifft dies Endoskope, mit denen wir eine Magen-Darm-Spiegelung machen. Gerade für Neugeborene gibt es extra kleine Endoskope. Und dort gibt es Bedarf, Geräte auszutauschen oder neue anzuschaffen. Mit solchen Investitionen können wir die Versorgung unserer Patienten auf einem hohen universitären Versorgungsniveau aufrechterhalten. (Kays Al-Khanak)
Derzeit fehlen auch Kinderärzten die Kapazitäten.