»Die Kunden schauen genauer hin«

Wochenmarkt und Sonnenschein. Die Kunden schlendern, die Marktstände und Lauben sind gut bestückt und laden zum Einkaufen ein. Aber wird denn noch gekauft wie bisher - oder trüben Inflation und die Sorge, dass das Leben immer teurer wird, bereits die Kauflaune?
Konstantina Haristopoulou von »Ermioni« aus Wetzlar nickt: »Ja, der eine oder andere Kunde überlegt es sich mittlerweile zweimal, ob er sich jede Woche ein feines Olivenöl leistet oder nur jede zweite.« An ihrem Marktstand für griechische Produkte wechseln geröstete Pistazien, Hafer-Biscuits oder Gewürze den Besitzer. Seit Juni bemerkt die Chefin eine gewisse Zurückhaltung und auch öfter den Griff zu Angeboten. Keine Veränderung nimmt sie bei der Ausgabe von Kaffee, Getränken und kleinen Speisen wahr: »Der Verzehr läuft wie bisher.« Die Preise hat sie bisher nur sehr moderat angehoben, spürt aber die gestiegenen Kosten für Sprit und den Einkauf: »Allein die Zutaten für die Verzehrtheke kosten fast 50 Prozent mehr.«
Nur noch ein Glas
Unter anderem Corona, Krieg und steigende Energiepreise haben die Inflation kräftig ansteigen lassen. Im Juni hat die Teuerungsrate bei 7,6 Prozent gelegen, zur gleichen Zeit 2021 waren es 2,3 Prozent. Dieser Anstieg der Preise macht sich seit Wochen auch auf dem Gießener Wochenmarkt bemerkbar.
Gegenüber am Stand des BIGI Blumenvertriebs aus Wettenberg leuchten Rosen, Sonnenblumen und bunte Sträuße. »Blumen sind Luxus«, sagt die Mitarbeiterin. »Man merkt, dass die Kunden mehr aufs Geld achten. Gerade die Rentner, die sich immer ein Sträußchen mitgenommen haben, gucken nur und gehen vorbei.« Anja Rinker von der Gärtnerei Niekisch aus Heuchelheim ist noch zufrieden. Salatpflanzen, Kräuter und Blühpflanzen werden gut gekauft. Nur bei Geranien und anderen Sommerblumen habe man den Preis etwas anheben müssen - »Die Heizkosten für die Gewächshäuser haben sich verdoppelt. Saatgut oder Anzuchterde sind teurer geworden.«
In den Lauben schaut Marco-A. Hofmann von Bio Hoffmann freundlich aus seinem Laden. Sein Sortiment ist groß: Honig, Met, Marmelade, eingekochte Gerichte im Glas - und Bio-Fleisch. Er merkt: »Die Kunden schauen genauer hin. Wer bisher zwei bis drei Gläser mitgenommen hat, nimmt heute vielleicht eins. Und keine Bio-Eier mehr dazu.« Manche Kunden sieht er gar nicht mehr. Er fürchtet, die Preise nicht halten zu können: »Sprit und Futterkosten hauen rein, die Gläserpreise haben sich verdoppelt. Ich habe Sorgen vor einer Endlosspirale. Wir leben von der Direktvermarktung.« Die Fleischereifachverkäuferin Petra Spengler aus der Landmetzgerei Becker aus Solms-Niederbiel bestätigt: »Viele Kunden sind verunsichert, kaufen eher eine Mettwurst und kein Paar.«
Astrid Koch von Gartenbau Koch aus Gießen nimmt keine Kaufzurückhaltung wahr, sieht aber, dass die Kunden bewusster einkaufen, mehr hinterfragen - »selbst Menschen, die bisher gekauft haben, ohne auf den Preis zu achten«. Auch Koch blickt besorgt auf die gestiegenen Einkaufspreise bei allem, was der Betrieb benötigt - »von Dünger bis zum Gartenschlauch. Wenn das so bleibt und im Herbst die Löhne wieder steigen, müssen wir die Preise anheben«. Bastian Busch von Plan Bio aus Braunfels nennt Sprit und Stromkosten als größte Kostenfaktoren: »Die Rechnung für das Kühlhaus steht noch aus.«
Die ältere Dame legt die Marmeladengläser in den Korb ihres Rollators und schüttelt den Kopf: »Nein, wir kaufen nicht anders ein als sonst, aber wir sind auch nur zu zweit - und Wochenmarkt muss sein.« Das ist Tradition bei der gebürtigen Gießenerin, die mit ihrem Mann in Biebertal lebt und die Marktgänge genießt. Ein anderes Rentnerpaar hat gerade eine Blume gekauft und äußert sich besorgter: »Bei Grundnahrungsmitteln wie Brot halten wir es wie immer. Aber wir überlegen schon, ob wir uns ein Pfund Kirschen leisten können - sechs Euro sind schnell aufgegessen«, sagt sie. Er ergänzt: »Wir können ja nichts zusätzlich erwirtschaften, müssen mit dem auskommen, was wir haben. Da schauen wir schon genauer hin. Unseren Urlaub haben wir abgesagt - wir wissen ja nicht, was noch kommt an Preissteigerungen.«
Blick auf Angebote
Zwei junge Mädels kaufen gerade belegtes Ciabatta aus dem Holzofen bei »La Cantina« - für 20 Euro. Die Schlange ist lang. Der Verzehrwagen aus Münzenberg hat keine Umsatzprobleme: »Die Leute sehen den Markt als Ausflugsziel, genießen einen leckeren Imbiss als Erlebnis«, sagt Inhaberin Daniela Jäger. Sie sucht händeringend Personal und hat höhere Kosten bei Mehl und hochwertigem Olivenöl. Daher hat sie die Preise bereits leicht anpassen müssen. Auch beim Brotwagen von Edgar Schwertfeger läuft das Frühstücksgeschäft gut, der Brotverkauf wird gerade etwas ruhiger. »In den Ferien ist es weniger«, erzählt er. Vor dem Wagen packt eine junge Familie Brot ein. »Wenn man nach der Saison geht, kann man hier so günstig wie im Supermarkt einkaufen«, sagt die Mama. »Allerdings haben wir kein Auto, somit sind Spritpreise für uns kein Thema.« Anders als für Sybille Gaisser von der Käseria. Sie fährt ihr Sortiment bei den Sennereien holen, das Geschäft läuft stabil, auch wenn die Einkaufspreise steigen und Kunden öfter zu günstigeren Sorten greifen. 1,80 Euro kostet der junge Bregenzer Wälder Bergkäse bei ihr - »übrigens unverändert seit zehn Jahren«, sagt die Chefin. Ob das so bleiben kann? Ungewiss. Wie alles im Moment.