1. Gießener Allgemeine
  2. Gießen

Die fruchtbare Frau als Ware

Erstellt:

Von: Karola Schepp

Kommentare

hundepark6593_111222_4c
Die Fruchtbarkeitsindustrie hat ihr Leben zerstört: Die Ukrainerinnen Olenka (Germaine Sollberger, oben) und Daria (Dascha Ivanova) treffen in Helsinki aufeinander. © Red

Sofi Oksanen nutzt in »Hundepark« das Thriller-Genre als Stilmittel für einen Roman über Ausbeutung, Korruption und Armut, der auf vielen Ebenen fesselt. Und sie zeigt die jüngere Geschichte der Ukraine vor Putins Angriff vom Februar dieses Jahres. Intendantin Simone Sterr und Dramaturgin Lena Meyerhoff haben aus dem Krimi ein Theaterstück gemacht.

Das wurde am Freitag im Stadttheater uraufgeführt.

Ortsnamen wie Kharkiv, Donetsk oder Dnipropetrowsk sind seit dem Angriff Putins auf die Ukraine vom Februar 2022 in unseren Sprachgebrauch übergegangen. Es sind Orte, deren Lage vor dem Krieg wohl nur die wenigsten Europäer auf Anhieb auf der Landkarte finden konnten. Wie wenig sich der Westen früher um das Land und seine Menschen geschert, aber zugleich die Armut junger Ukrainerinnen ausgenutzt hat, das wird bei der Lektüre des Thrillers »Hundepark« der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen deutlich.

Als der Roman im Januar dieses Jahres auf Deutsch erschien, war für Stadttheater-Intendantin Simone Sterr schnell klar, dass sie daraus ein Bühnenstück machen will. Der spannende Thriller-Plot, in dem die ukrainische Baby-Industrie und die ausgeprägten korrupten Strukturen im Land, aber auch die Traumata durch die Sowjet-Ära Thema sind, bietet Tiefgang und starke Figuren gleichermaßen. Die Transformation eines Romans mit bildstarker Sprache und plastischen Figuren in ein Schauspiel ist zwar nicht zwingend, aber gut nachvollziehbar. Und in einer Zeit, in der der Ukraine im Westen große Sympathie entgegenschlägt, politisch umso brisanter.

In dem von Sterr und Dramaturgin Lena Meyerhoff entwickelten Schauspiel, das im Großen Haus uraufgeführt wurde, wird die Ich-Erzählung Olenkas aus dem Roman vielstimmig. Dialoge und wechselnde Erzähler geben Einblick in das sich zwischen Finnland im Jahr 2016 und der Ukraine in den 1990er Jahren bis 2014 spannende Geschehen.

Das Leid hinter dem Baby-Geschäft

Nach dem Zusammentreffen der Ukrainerinnen Olenka und Daria in einem Hundepark in Helsinki - wohin Erstere vor den Häschern einer Oligarchenfamilie geflüchtet ist, die Andere, um sich zu rächen und ihr bei einer Familie lebendes Kind zu entführen - wird die Tragik der beiden Frauen offenkundig. Beide sind Teil des »unendlichen Stroms porzellanhäutiger Schönheiten«, die als Eizellenspenderinnen oder Leihmütter unter fragwürdigen Umständen kinderlosen Paaren ihren sehnlichsten Wunsch erfüllen. Wunschhaarfarbe und -geschlecht, geschönter Lebenslauf der »Spenderin«, absolute Diskretion - in der in dieser Hinsicht merkwürdig rechtlich liberalen Ukraine bleiben für reiche Europäer keine Wünsche offen. Doch Ukrainerinnen wie Olenka und Daria zahlen dafür einen hohen Preis. Vertragsbrüchig suchen die beiden in Finnland die Nähe zu jenen Kindern, die aus den Eizellen entstanden sind. Sie sind Opfer und Täterinnen gleichermaßen - in einer Welt, in der ihnen nichts anderes übrig bleibt, als ihren eigenen Körper oder den anderer Frauen als Ware auszubeuten. Der gewaltsame Tod ihrer befreundeten Väter, der im Krimi-Plot eine Rolle spielt, hat Olenka und Daria aus der Bahn geworfen. In ihrer finanziellen Not lassen sie sich auf die Eizellenspende ein und ihr Leben gerät in einen unaufhaltsamen Abwärtsstrudel. Das Ende, so wird bald klar, wird wohl ein tragisches sein.

Sterrs Schauspielfassung spielt geschickt mit den Erzählsprüngen und der Dynamik des Thrillers. Einblendungen mit Zeit- und Ortsangaben geleiten die Zuschauer durch die puzzleartig konstruierte Handlung, die nach der Pause deutlich an Fahrt aufnimmt. Ein riesiges, von der Decke hängendes Tuch voller Mohnblumen (Bühne/Kostüme: Sabina Moncys) verwandelt sich in ukrainische Bergbaulandschaften, illegale Opiumfelder oder ist variable Spielfläche.

Zwischenapplaus für die Live-Band

Eine am Bühnenrand postierte Live-Band erzeugt mit schrillen Outfits und folkloristischem Balkanpopsound (eigens von Jojo Büld komponiert) eine trügerisch lebensfrohe Stimmung, die immer wieder zu Zwischenbeifall animiert. Die Sängerinnen Darja und Kate Bilenko, Erika Ehberger sowie Marie Shuta sind vier junge Frauen aus Gießen, die alle biografisch mit der Ukraine verbunden sind.

Der Mut Sterrs, zwei Berufseinsteigerinnen die beiden Hauptrollen anzuvertrauen, wird belohnt. Germaine Sollberger ist als Olenka, der die Trauer um ihr verlorenes Kind wie ein »Senfpflaster auf der Haut brennt«, stets präsent. Sie kann als junges Mädchen mit Skateboard, skrupellose Helferin einer Leihmütteragentur und als von ihren Dämonen gequälte Frau durchweg überzeugen. Dascha Ivanova ist mit ihrer quirligen, sehr körperlichen Spielweise und ihrem ungekünstelt kecken Ton als Daria, die auf Rache sinnt, eine Idealbesetzung.

Die anderen im Team schlüpfen in unterschiedliche Rollen, was leider beim Geschlechterwechsel ins Lächerliche abgleitet. Zelal Kapçik kann aber sowohl als Olenkas skrupellose Agenturchefin punkten als auch als verzweifelt auf Schwangerschaft hoffende Oligarchengattin und finnische Mutter. Levent Kelleli überzeugt als Olenkas Liebschaft Roman und als Musiker. Ben Janssen ist mal selbstbewusster Upperclass-Vater, dann wieder der vom Clan zum Zeugen eines Sohnes gedrängte »Schlappschwanz«. Roman Kurtz spielt sowohl Olenkas zwielichtigen Vater als auch den skrupellosen Oligarchen einprägsam. Der begeisterte Beifall des Premierenpublikums war ihnen allen - aber auch dem Regieteam um Simone Sterr - gewiss.

Auch interessant

Kommentare