Die Familien Stern und Kaminka

Hanno Müller legt ein weiteres Familienbuch vor. Das erzählt zwar hauptsächlich von Juden in Staufenberg, bietet aber auch Wissenswertes über jüdische Familien in Gießen: vom Lehrer Siegfried Kann, den Kaufleuten Hammerschlag bis zu vielen erstmals publizierten Fotografien auch von den Familien Stern und Kaminka.
Erneut legt Hanno Müller ein Familienbuch vor, diesmal stehen die Juden in Staufenberg und Umgebung im Zentrum. Das sind die heutigen Ortsteile Daubringen, Mainzlar, Staufenberg und Treis; dazu kommen Lollar und Ruttershausen, weil die älteste Quelle über die Juden in diesen Orten vom Pfarrer des Kirchspiels Kirchberg stammt.
Wie bei all seinen Veröffentlichungen fügt der unermüdliche Forscher neu gefundene Fotos und Informationen zu früheren Familienbüchern an. Oder er stellt, wie in diesem Fall, andernorts Publiziertes hier noch einmal vor, wenn die Personen und ihre Familien aus den vorgestellten Orten stammten, in andere Städte verzogen sind oder ins Ausland gingen. So wie Mitglieder der großen Familie Löwenstein, von denen einer Mohel, also Beschneider, in Wieseck war. Weitere Gießener finden sich im Staufenberg-Buch: der Lehrer Siegfried Kann, die Kaufleute Hammerschlag, und mit vielen erstmals publizierten Fotografien auch die Familien Stern und Kaminka.
Fotos aus Nachlass von Jossi Stern
Der umfangreiche Nachlass von Jossi Stern wurde dank Mithilfe von Christel Buseck 2019 ans Stadtarchiv übergeben. Die einstige Lehrerin an der Ricarda-Huch-Schule, Mitglied im Vorstand der christlich-jüdischen Gesellschaft Gießen-Wetzlar und langjährige Akteurin der Gießener Stolpersteine-Gruppe, fragte die Verwandten auch nach Fotografien. Auf diesem Weg wurde Müllers Familienbuch mit wunderbaren Aufnahmen der Familien Stern und Kaminka bereichert.
David Kaminka zog mit Familie im Sommer 1908 aus Lollar nach Gießen. Als junger Mann war er aus der Ukraine nach Oberhessen gekommen. Der Uhrmacher betrieb sein Geschäft am Marktplatz 18, im prachtvollen Eckhaus zur Mäusburg, wo einst die Hirsch-Apotheke ihren Sitz hatte. Er handelte mit Uhren, Gold- und Silberwaren, hatte das erste Grammophon und Schallplatten in Gießen. Deswegen war sein Laden sehr beliebt. Das Gebäude wurde sogar »Haus Kaminka« genannt.
Jossi Stern schreibt weiter in seinen Erinnerungen, dass die Kinder den Singsang reimten: »Der Opa Kaminka, der möcht ich net sein, der schaut ja dem Denkmal in den Popo hinein!« Denn direkt vor dem Laden war 1900 der Brunnen mit Siegesdenkmal errichtet worden, dessen Statue in antikisierter Nacktheit glänzte. Eines der Fotos im Müller’schen Buch zeigt die Geschwister Stern als Kinder am Brunnenrand sitzen.
Arbeitseinsatz in Palästina
Helmut Josef »Jossi« Stern konnte noch die ersten Klassen der Herder-Schule besuchen, musste in der Quarta 1934/35 die Schule verlassen und auf die jüdische Schule in Frankfurt gehen. Er wurde von einer jüdischen Hilfsorganisation auf einen Arbeitseinsatz in Palästina vorbereitet, wie übrigens auch Joseph Brumlik. Im Zweiten Weltkrieg schloss sich Jossi Stern der Jüdischen Brigade der Britischen Armee an, wurde dann Berufssoldat der Israelischen Armee. Auch davon gibt es eindrucksvolle Fotos. Später leitete er die Universitätsbibliothek in Haifa. Von dort aus knüpfte er Kontakte in alle Welt, sammelte Adressen und Geschichten der ehemaligen Gießener. Die Begegnungstreffen in Gießen gehörten zum jahrzehntelang gepflegten Ritual der Stadt. 2008 wurde Jossi Stern mit der Hedwig-Burgheim-Medaille der Stadt geehrt.
Eine Teilnehmerin dieser Treffen, Gertrud Hurwitz, geborene Hammerschlag, aus Treis, ist im Staufenberg-Buch mit einem Interview vertreten, das sich ebenfalls im Nachlass Jossi Stern befindet. Es handelt von der Flucht des Ehepaars durch Europa bis nach Israel.


