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Die Einsamkeit der Telefonseelsorger

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Von: Marion Schwarzmann

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Die Autorin Judith Kuckart (l.) stellt zusammen mit der LZG-Moderatorin Christina Hohenemser ihren jüngsten Roman »Café der Unsichtbaren« im KiZ vor. © Marion Schwarzmann

»Sorgentelefon e. V., guten Abend. Wie kann ich ihnen helfen?« Mit einem Satz hat Moderatorin Christina Hohenemser geschickt das Thema umrissen, das Judith Kuckart in ihrem jüngsten Roman »Café der Unsichtbaren« verhandelt. Auf Einladung des Literarischen Zentrums liest die in Berlin lebende Autorin am Mittwoch aus ihrem vielschichtigen Werk im KiZ.

Judith Kuckart hat viele Berufe. Sie ist ausgebildete Tänzerin, inszeniert als Regisseurin und Choreografin am Theater, hat seit über 20 Jahren bereits mehrere Romane erfolgreich beim Dumont Verlag veröffentlicht. Das alles aber war ihr nicht genug. »Mit 50 wollte ich Theologie studieren, um Gemeindearbeit zu machen«, erzählt die heute 63-Jährige. Ein Plan, den sie schnell wieder verworfen hat, denn »Althebräisch und Altgriechisch gehen in meinen alten Kopf nicht mehr rein«. Eine Freundin gab ihr den Tipp mit der Telefonseelsorge, und sie absolvierte dort eine zweijährige Ausbildung, um anschließend vier Jahre lang hilfesuchenden Anrufern am Telefon zuzuhören, ihnen durch das Gespräch weiterzuhelfen.

»Empathie kann man nicht lernen, die hat man oder hat man nicht«, sagt Judith Kuckart. Wohl aber lernen lässt sich, einen Konflikt zu deeskalieren. »Manche Leute beschimpfen einen gnadenlos am Telefon«, hat sie erfahren. Dann ist es wichtig, klug und gelassen mit der Situation umzugehen. »Zuhören hilft«, weiß sie und: »Ratschläge kommen nicht so gut an.«

Aber der Schriftstellerin geht es in ihrem gesellschaftlichen Kaleidoskop weniger um die Anrufer, sondern um die Zuhörer am anderen Ende der Leitung. Sie versammelt sieben Menschen, die sie fünf Tage lang in ihren (Nacht)diensten von Gründonnerstag bis Ostermontag begleitet. Sieben Personen, die - auch altersmäßig - nicht unterschiedlicher sein könnten und die dennoch eins verbindet: Sie alle leiden unter ihrer Einsamkeit und ihren eigenen Verletzungen.

Wie im Theater spiegelt dieses Ensemble die Sorgen der Anrufer wider. »Ich wollte ihren Problemen eine menschliche Stimme geben«, hält Kuckart auf Nachfrage der LZG-Moderatorin fest, die gleich zu Beginn der gut besuchten Veranstaltung schildert, das Buch habe sie beim Lesen sofort an schlaglichtartige, szenische Darstellungen im Theater erinnert.

Die Jüngste, Rieke, ist 24 Jahre alt, studiert Theologie und träumt von einem schönen Pfarrhaus und vielen Kindern. Doch sie fühlt sich »maßlosnachtigallenallein« - eines dieser wundervollen poetischen Adjektive, die Kuckart so trefflich kreiert hat. Die Älteste und zugleich Ich-Erzählerin des Romans, Frau von Schrey, hat die 80 bereits erreicht und weiß nicht, ob sie eine gescheiterte Terroristin oder Pianistin ist.

Beide zitieren gern Rilke und beide lernt das aufmerksame Publikum kennen, als Kuckart mit leiser, ruhiger Stimme einige Abschnitte aus ihrem Buch vorträgt. Passagen, die nachdenklich und ratlos stimmen, wenn Rieke etwa einen höflichen Pädophilen an der Strippe hat, der seit zwei Tagen spürt, dass »sein Drang wieder größer wird«. Christina Hohenemser merkt an: »Die jammern aber nicht.« Für die heitere Note hat die Autorin schließlich Frau von Schreyl ausgewählt, die mit knappen Worten das erste Zusammentreffen der Gruppe zum Start der Ausbildung vor vier Jahren schildert. Wohin das Leben sie schließlich führt? Das wird erst im Nachspann der ansprechenden Lektüre verraten.

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