Die Bühne als magischer Ort

Vladimir Yaskorski ist ein vielseitiger Künstler. Privat mag er Plattenbauten. Beruflich baut er lieber Klangskulpturen. Heute Abend dirigiert er sein erstes Sinfoniekonzert als stellvertretender Generalmusikdirektor im Stadttheater.
Er hat ein Faible für Plattenbauten. Aufgewachsen in einer dieser grauen, tristen Siedlungen Armeniens, erfreut er sich bis heute an der schlichten, akkuraten Architektur. Sie gibt ihm ein Gefühl der Heimat. Andererseits verehrt er den Surrealismus, eine Kunstrichtung, die das Normierte nutzt, um es abzuwandeln, weiterzuentwickeln, in neue Dimensionen zu führen. Am Stadttheater ist er zudem Idealist, Realist, Perfektionist. Vladimir Yaskorski hat viele Facetten. Der Kapellmeister und stellvertretende Generalmusikdirektor nennt noch eine weitere: »Gute Laune ist einer meiner Wesenszüge.«
Dennoch liegt in der Ruhe seine Kraft. Bei einer Partitur verschafft sich der 38-Jährige zunächst im stillen Kämmerlein einen Überblick. Er studiert die Noten, um das Klangbild zu erkennen, den Sound zu verstehen, den Charakter des Stücks für das Orchester auch im Wortsinn zu begreifen. Erst danach beginnt er, die Partitur zu lesen wie ein Buch.
Die Geige ist sein Instrument
Klingt das nicht nach kleinteiliger Beschäftigung? »Oh ja, das ist es. Aber sie schenkt einem sehr viel.« Auch ein Stück Freiheit? »Im Idealfall schon«, sinniert Yaskorski, »aber man muss sich die Freiheit durch Disziplin und gründliche Vorbereitung erarbeiten.« Worin besteht danach die Kunst, das Orchester zu führen? »Es geht darum, eine musikalische Idee möglichst klar und verständlich rüberzubringen und mit ihr zu begeistern.«
Bereits als Kind begeisterte ihn das Dirigieren. Zunächst nur so zum Spaß im heimischen Wohnzimmer. Aber es gab da noch eine weitere Liebe. »Eigentlich wollte ich Komponist werden«, bekennt Yaskorski. Obschon der Großonkel als Tondichter Erfolge feierte, irritierte den Jungen die Vielzahl der existierenden Werke und blockierte ihn mental. Aus dem Komponieren wurde es nichts.
Die Richtung allerdings war klar. Der Vater, ein Russlanddeutscher aus Aserbaidschan, die Mutter, eine Armenierin, die aus Georgien stammt, hatten schon immer einen Hang zur Musik. Der Vater spielt Klavier, die beste Freundin der Mutter ist Geigenlehrerin.
Ab dem sechsten Lebensjahr erhielt der kleine Vladimir von ihr Unterricht. Das Streichinstrument zog ihn sofort in Bann. Die Eltern, die heute in Frankfurt als Programmierer arbeiten, prägten so ihren Jungen. Und später im Studium? »Da war die Geige weiter mein Hauptinstrument«, sagt Yaskorski mit einem Selbstverständnis, das alle Zweifel ausräumt, man könne ohne eigene Klavierkunst nicht am Pult erfolgreich agieren. Klavier spielt der Dirigent natürlich auch. »Aber nur für den Hausgebrauch.«
Die Liste seiner Lieblingskomponisten ist lang. Strawinsky, Prokofjew, Schostakowitsch und die heute 91-jährige Sofia Gubaidulina verehrt er ebenso wie die Werke von Alfred Schnittke und Arvo Pärt. Den alten Händel nicht zu vergessen.
Gerade hat Yaskorski mit »Caterina Cornaro« seine erste Opernproduktion in Gießen gemeistert, jetzt steht nach der erfolgreichen Silvestershow das erste Sinfoniekonzert auf dem Programm. Wie empfindet der Künstler diesen magischen Ort namens Bühne? »Die Bühne ist für mich tatsächlich ein magischer Ort, an dem manchmal etwas passiert, was man vorher nicht geprobt hat. Ein Ort, bei dem man, wenn man ihn betritt, nie weiß, wie es sein wird. Das ist schon faszinierend.«
Was Plattenbauten mit Musik verbindet
Was erwartet die Besucher beim Sinfoniekonzert am heutigen Donnerstag? Yaskorski lächelt: »Spannende Musik.« Er freut sich darauf, Ausschnitte aus Haydns »Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze« aus dem Jahr 1787 der letzten und rätselhaftesten Sinfonie Schostakowitschs von 1972 gegenüberzustellen.
»Und die ›Sieben Worte für Bajan, Violoncello und Streichorchester‹ von Gubaidulina sind immer für eine Überraschung gut.« Das hört sich nach schwerer Kost an. Sollte das Ernste in der Musik nicht auch hin und wieder leicht klingen? »Bei Komponisten wie etwa Schubert oder Fauré unbedingt! Bei den Sowjetrussen eher nicht.«
Zurück zu den Plattenbauten. Was haben die mit sowjetischer Musik zu tun? »Sowjetische Musik hat oft einen ähnlichen Charme, sie ist eher karg, mit scharfen Schwarz-Weiß-Kontrasten. Das spricht mich emotional an.« Yaskorski lacht. »Meine Freundin Helen, die aus Dresden stammt, findet mein Faible ja eher lustig.« Ist so ein Faible gut für den Erfolg? »Irgendwie schon.« Und wie definiert der Dirigent Erfolg? »Wenn man einem inneren Ideal ein Stück näher kommt.« Im Moment ist er auch ohne Plattenbauten sehr nah dran.