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Der Weltkrieger wackelt

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Von: Burkhard Möller

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40 000 Euro würde die Sanierung des Kriegerdenkmals kosten. © Oliver Schepp

Denkmäler, die an die kriegerische und nationalistische Vergangenheit der Deutschen erinnern, sind nicht unumstritten. Das gilt auch für das Kriegerdenkmal am Landgraf-Philipp-Platz. Nun müssen die Stadtverordneten entscheiden, ob der Weltkrieger aus Muschelkalk ein solides Fundament erhalten und in neuem Glanz erstrahlen soll.

Für einen über 97-Jährigen macht der Mann eine gute Figur. Muskelbepackt, mit Waschbrettbauch und faltenfreiem Anlitz kniet er unbewegt auf einem Sockel am Landgraf-Philipp Platz. Zumindest für einige Zeit wird der Weltkrieger aus Muschelkalk nun vielleicht erstmals in seinem »Leben« von dort verschwinden müssen, denn unter ihm bröckelt es.

Schäden und Sanierungsnotwendigkeiten sind in einem 70-seitigen Gutachten beschrieben, mit dem sich nun die Stadtverordnetenversammlung befassen muss. Die Fraktionen stehen vor der Frage, ob das Kriegerdenkmal für rund 40 000 Euro dauerhaft erhalten werden soll. Mit der Vorlage einer »restauratorisch-bauhistorischen Untersuchung«, die der Diplom-Restaurator Hanno Born aus Lich-Eberstadt für die Stadt Gießen erstellt hat, erfüllt der Magistrat einen Auftrag, der ihm im Dezember 2021 auf Antrag der FDP einstimmig vom Stadtparlament erteilt worden war. Der Magistrat sollte prüfen lassen, wie und mit welchem Kostenaufwand das geschützte Kulturdenkmal »wieder instand gesetzt und in Betrieb genommen werden kann«.

Das martialisch anmutende Denkmal mit der pathetischen Aufschrift »AUFWÄRTS« und der athletischen Männerfigur, zu deren Füßen ein Soldatenhelm im Reichswehrdesign liegt, war Anfang September 1925 feierlich eingeweiht worden und sollte an die kaiserliche Gießener Garnison mit dem Infanterieregiment 116 erinnern.

Wie andere Denkmäler, die aus der kriegerischen, nationalistisch-imperialen Epoche oder dem Nationalsozialismus stammen, war auch das sogenannte 116er-Denkmal seit den 1980er Jahren Gegenstand einer erinnerungskulturellen Auseinandersetzung. So heftig wie um das Greifendenkmal an der Licher Gabel wurde um den Muskelmann zwar nicht gestritten, aber wiederholt wurde auch er mit Farbe besudelt.

Restaurator Born, der sich gemäß seines Auftrags auf »denkmalpflegerische Aspekte« beschränkt, behandelt diesen Aspekt nur am Rande, spricht an einer Stelle aber von einer »Bandbreite der Aktivitäten von Gedenkfeiern bis hin zu Farbanschlägen und Vandalismus« rund um das 116er-Denkmal.

Interessant ist das, was der Gutachter zur Geschichte des vom Beuerner Bildhauer Wilhelm Heidwolf geschaffenen Denkmals in seiner Untersuchung zusammengetragen hat. Errichtet wurde es 1925 bewusst in der Nähe zu einer der traditionsreichsten Gießener Militärliegenschaften, der sogenannten Zeughauskaserne. Erst seit der Reichsgründung 1871 trugen die Gießener Fußsoldaten die Einheitsbezeichnung 2. Großherzoglich-Hessisches Infanterie-Regiment Nr. 116, 20 Jahre später kam der Namenszusatz »Kaiser Wilhelm« hinzu. In den 1. Weltkrieg zog das Regiment im August 1914 mit fast 3500 Soldaten und 240 Pferden. Bei den Kämpfen an der Westfront starben über 1700 Mann, fast 6500 wurden verwundet, fast 2500 blieben vermisst. Demobilisierung und Auflösung erfolgten Ende 1918.

Das Denkmal entstand sieben Jahre nach Kriegsende zwar zur Zeit einer parlamentarischen Demokratie, die Erinnerungskultur indes schwankte laut dem früheren Stadtarchivar Dr. Ludwig Brake »zwischen Trauer und Revanchismus«. Wie Born schreibt, habe es geheißen, Heidwolf habe den Zuschlag von der Stadt erhalten, weil sein Entwurf »der am wenigstens kriegerisch wirkende« gewesen sein soll. Die Zeitgenossen des Bildhauers hatten eine andere Wahrnehmung. »Die Figur, von einem überwältigenden Stoß getroffen, diesen mit der Hand auf dem Stahlhelm abfangend, ist mit unbeugsamem Willensentschluss und gewaltiger Kraftanstrengung gerade im Begriff, sich endgültig zu erheben«, heißt es im Festbuch von 1925.

Die Risse und Setzungen, die der Restaurator im Fundament, Sockel und Relief festgestellt hat, während die Figur keine Schäden aufweist, haben mehr mit Anfangsfehlern als mit dem Alter zu tun. Ihre Ursache liege vermutlich in einer »von Beginn an schadensanfälligen Konstruktion«, schreibt Born. Er hat drei Sanierungsvarianten erarbeitet und empfiehlt die teuerste, die knapp 40 000 Euro kosten würde, zur Ausführung. Mit dieser ließen sich »alle Schadenursachen« beheben.

Parlament muss entscheiden

Käme sie zur Ausführung, müsste die Figur, die gesäubert werden soll, für die Zeit der Sanierung von Sockel und Fundament abgenommen und eingelagert werden. Wasser soll in das die Figur umgebende Bassin nicht zurückkehren. 1925 war ein Kind über den niedrigen Rand in das Becken gestürzt und fast ertrunken. Danach wurde das Denkmal mit einer Hecke und einem Geländer umgeben. Aufgrund von Rissen am Beckengrund war das Wasser aber dauerhaft nicht zu halten.

Der Magistrat hat den Stadtverordneten das Gutachten übrigens nur zur Kenntnis gegeben und keinen Antrag gestellt, wie es weitergehen soll. Die Sanierungsentscheidung liegt also nun beim Stadtparlament.

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Ausmarsch der 116er aus der Bergkaserne. Das Postkartenmotiv soll aus dem Jahr 1916 stammen. © Red

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