Der Rotschopf in der grünen Lunge

Ohne die Ehrenamtlichen wäre die Öffnung des Botanischen Gartens in der jetzigen Form undenkbar. Zu den Freiwilligen, die sich in Gießens »grüner Lunge« unter anderem um die Aufsicht kümmern, gehört auch Jutta Rögener. Für die 76-Jährige gibt es keinen schöneren Ort, um ihre Freizeit sinnvoll zu nutzen.
Jutta Rögener sitzt auf einer Bank im Botanischen Garten. Sie isst ein Brot, in ihrer Handtasche steckt ein Buch. Doch auch wenn die 76-Jährige gerade Mittagspause macht oder in ihrem Roman vertieft ist, wandert ihr Blick immer wieder zum Eingang an der Sonnenstraße. »Ich muss aufpassen, dass niemand mit einem E-Roller oder Fahrrad hier reinkommt.« Denn Rögener sitzt hier zwar zum Vergnügen, aber auch in offizieller Mission. Als Mitarbeiterin des Vereins Ehrenamt Gießen kümmert sie sich um die Aufsicht in Gießens »grüner Lunge«.
Im Botanischen Garten wachsen über 7500 verschiedenen Pflanzenarten. Mit den Gewächshäusern, den Bänken und natürlich den Blumen, Sträuchern und Bäumen ist das parkähnliche Areal sehr einladend und wird von vielen Gießenern als Naherholungsgebiet genutzt. Tatsächlich aber handelt es sich um eine Einrichtung der Justus-Liebig-Universität, die vor allem der Lehre und Forschung dient. Dass die Bürger den Garten trotzdem erleben können, ist zu einem großen Maße den ehrenamtlichen Helfern zu verdanken. Das hat Holger Laake, der technische Leiter des Botanischen Gartens, erst kürzlich wieder hervorgehoben: »Wir sind deutschlandweit mit der einzige Garten, der so stark von ehrenamtlichen Kräften unterstützt wird, und das schon seit den 70er Jahren. Wir könnten sonst nicht die Öffnungszeiten am Abend und an den Wochenenden aufrechterhalten.«
Rögener und ihre Mitstreiter sind aber auch nachmittags und unter der Woche im Einsatz. Heute hat die Seniorin eine vierstündige Schicht vor sich, die zur Mittagszeit begonnen hat.
Struktur und Dienst für Gemeinschaft
Das Handy klingelt. »Das ist mein Wecker«, sagt Rögener, bevor sie das Alarmsignal beendet. Es ist 14 Uhr, Zeit, den Eingang an der Senckenbergstraße zu schließen. »Das machen wir abends auch an den Gewächshäusern«, sagt sie, bevor sie ihre Bank verlässt und durch den Park schlendert.
Auf den Weg wird sie von Mitarbeitern und Besuchern freundlich begrüßt, man kennt sich. Seit zehn Jahren schon leistet die Gießenerin hier ihren Freiwilligendienst. Angelika Nailor, die Geschäftsführerin des Vereins, hat sie damals bei einem Museumsbesuch angeworben. Zu jener Zeit engagierte sich Rögener bei der Tafel. »Das mache ich heute noch manchmal, wenn Not am Mann ist, auch wenn mir das Tragen der Kisten inzwischen zu anstrengend geworden ist«, sagt sie. Für den Ehrenamts-Verein hilft sie zudem regelmäßig in der Kunsthalle aus, auch am Empfang des Rathauses kann man Rögener regelmäßig begegnen. »Ich bin immer da, wo ich gerade gebraucht werde.«
Die Sonne knallt an diesem Nachmittag auf Gießen, die großen Bäume sorgen jedoch für ausreichend Schatten. Das ist auch ein Grund dafür, warum viele Bürger hier eine Auszeit suchen. Manchmal jedoch nicht im Einklang der Vorgaben.
Es ist nicht immer einfach, Mitmenschen auf eine Missachtung der Regeln hinzuweisen. Im Botanischen Garten gehört das aber zu Rögeners Aufgaben. Zum Beispiel, wenn Besucher ihren Hund oder das Fahrrad mit in den Garten nehmen wollen oder sich auf den Weisenflächen ausbreiten. »Natürlich kommt es auch mal vor, dass die Menschen unwirsch reagieren. In den meistern Fällen sind sie jedoch verständnisvoll.« Das dürfte vor allem an der Art liegen, wie Rögener die Besucher anspricht: höflich und nett, nicht von oben herab. Das Paar etwa, das gerade auf der Lehne einer Bank sitzt und die Füße auf die Sitzfläche gestellt hat, wird von Rögener im freundlichsten Ton gebeten, die Schuhe bitte auszuziehen. »Damit die Leute, die nach Ihnen kommen, sich nicht ihre hellen Hosen versauen.«
Den richtigen Ton zu treffen, das gehörte auch zum Beruf von Rögener. Bevor sie in den Ruhestand ging, war sie in Dortmund Leiterin eines Seniorenheims. »Da lernt man, wie man am besten mit Menschen umgeht.« Als dann die Rente anstand, kehrte sie in jene Stadt zurück, in der sie einst Krankenpflege gelernt, das Abitur gemacht und Sozialarbeit studiert hatte.
Rögener könnte auch privat in den Botanischen Garten kommen und ihr Buch lesen. Ihr ist die ehrenamtliche Tätigkeit aber wichtig. »Ich brauche Struktur in meinem Leben. Ich kann nicht den ganzen Tag die Füße hochlegen.« Und ja, auch wenn es etwas hochtrabend klinge, wolle sie der Gesellschaft etwas zurückgeben. »Mir geht es gut, meinem Sohn und seiner Familie auch.« Viele andere könnten das nicht von sich behaupten.
Mit ihren leuchtend roten Haaren ist Rögener längst zu einem Aushängeschild des Botanischen Gartens geworden. Sie übt ihr Ehrenamt gerne aus, was auch an den vielen Stammgästen liegt, die sie hier regelmäßig trifft. Der Kreislauf des Lebens bringt es mit sich, dass manche der älteren Besucher irgendwann nicht mehr kommen. Auch von ihren ehrenamtlichen Mitstreitern seien in den vergangenen Jahren einige verstorben, sagt Rögener.
Das ändert aber nichts daran, dass sie die ehrenamtliche Tätigkeit im Botanischen Garten so mag. »Hier ist es einfach wunderschön«, sagt Rögener. »Ein echtes Kleinod.«