»Der Mensch ist systemrelevant«

Gießen (bac). Der ehemalige Unternehmer Siegfried Wüst hat seine Jugend in Gießen verlebt. Hier besuchte er die Schule, absolvierte seine Ausbildung und studierte über den zweiten Bildungsweg Elektrotechnik-Ingenieurwesen. Seine Erfahrungen mit den Führungsebenen eines Unternehmens hat er bereits in mehreren Büchern niedergeschrieben. Er sagt, »die aktuelle Zeit ist so wirr, dass man als erfahrener 68’er etwas dazu sagen muss«.
Seine Lebensgeschichte, verknüpft mit seinem beruflichen Werdegang, hat er in »Vom Lausbub zur Führungskraft« (ISBN 978-3-347-36052-5) zusammengefasst.
Sie haben bereits einige Bücher zu »Führungsthemen und Wirtschaftsgeschehen« verfasst. Worin lag die Motivation für ihr jüngstes Buch?
Seit einigen Jahren habe ich Bücher zu »Führungsthemen und Wirtschaft« geschrieben. Das stimmt. Ich muss heute leider feststellen, dass der Mensch nicht mehr im Fokus steht. Wirtschaftswachstum, Gier und Egoismus sind zu bedeutend geworden. Dabei ist eigentlich der Mensch systemrelevant! Das wollte ich anhand meines eigenen Weges aufzeigen.
Können Sie uns Ihren Lebensweg aufzeigen?
Ich bin 1946 in Wertheim am Main geboren und hatte eine abwechslungsreiche Kindheit. Später zogen meine Eltern nach Gießen, weil hier meine Großeltern lebten. Eingeschult wurde ich in die Goetheschule. Nach der Schule ging ich in die Lehre zur Firma Weiss Technik und wurde Elektromechaniker. Die Firma war bei uns um die Ecke. Leider zog das Unternehmen später nach Lindenstruth. Da war es für mich mit dem schnellen Weg zur Arbeit vorbei. Die Eltern haben das damals bestimmt, da wurde nicht lange darüber nachgedacht, sondern einfach gemacht. Ich selbst wollte eigentlich Mathematik studieren.
Wie ging es nach Ihrer Ausbildung dann weiter?
Nach meiner praktischen Ausbildung mit einem Lehrabschluss habe ich an der heutigen Technische Hochschule Mittelhessen Elektroingenieurwesen studiert und mit dem Diplom abgeschlossen. Danach führten mich meine beruflichen Stationen quer durch Deutschland, bis ich schließlich in der Nähe von München hängengeblieben bin. Ich war bei zahlreichen wichtigen Technologien mit dabei.
Wie gestaltete sich Ihr Berufsweg?
Ich habe mich beruflich regelrecht hochgearbeitet: vom Produktpromoter, über den Gruppenleiter, Abteilungsleiter, zum Bereichsleiter, bis hin zum Geschäftsführer einer eigenen Firma. Ich habe dies also von der Pike auf gelernt. Die Nähe zu den Menschen und dieser Weg haben mein Bild »Menschen sind systemrelevant« geprägt. Ich bin auch ein wenig stolz darauf, dass ich in Sachen Automatisierung immer mit vorne dabei gewesen bin, auch zum Beispiel bei der ersten großen Windkraftanlage (»Growian« im Kaiser-Wilhelm-Koog).
Sie haben 2014 Ihre Geschäftsführertätigkeit aufgegeben. Was kam dann?
Mir ist die Weitergabe mal einer anderen »menschenorientierten Sichtweise«, also der Umgang mit Menschen, sehr wichtig. Daher fing ich an, Workshops zu dem Thema anzubieten, die überraschend gut angenommen wurden. Hierbei bekam ich verstärkt die Überzeugung, mein Wissen weitergeben zu sollen, und daraus entstanden verschiedene Buchprojekte und Vorträge. Auch auf der christlichen Seite verlief mein Leben besonders. Ich wurde überraschend in den Kirchenvorstand von Neufahrn/Eching/Hallbergmoos hineinberufen und konnte so mein Wissen und mein Bild vom Christsein, auch beim Bau von zwei Kirchenprojekten einbringen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass alles wirklich Richtige auf einen zukommt, wenn man es zulässt. So ist auch meine Überzeugung gewachsen, ab 51 Prozent beginnt der Erfolg, und so bin ich meine Projekte immer angegangen. Mutig sein und gestalten, nicht verwalten.
Im Buch konfrontieren Sie die Leser mit Sätzen wie »Der Mensch ist systemrelevant«. Was steckt hinter dieser Vorgehensweise?
Ich möchte zur Selbstreflexion anregen. Erfolg hat man nur gemeinsam. Menschen sind Kunden und die Handelnden. Man soll über sich und sein Tun nachdenken, denn dadurch kommt man zu den richtigen und guten Lösungen. Man muss lernen, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Daher habe ich das Buch auch mit Beispielen und meinen Erkenntnissen daraus angereichert, die zeigen, dass alles Konsequenzen hat. Man sollte daher immer Chancen und Risiken abwägen. Dass das zu selten bedacht wird, zeigen die aktuellen Probleme in Politik und Wirtschaft.
Sie leben heute in Bayern, in Mauern bei Moosburg. Was verbindet Sie noch mit Gießen?
Viele gute Erinnerungen an die Stadt meiner Jugend. Ich habe noch einen zwölf Jahre jüngeren Bruder, der in der Nähe von Gießen lebt, den besuche ich natürlich hin und wieder. Ferner leben noch Schulfreunde in Gießen und Umgebung. Der Kontakt ist nie ganz abgerissen. FOTO: PM