Der Klang des glatten Lego-Achters
Gießen. Gleich zur Eröffnung des Hauses die erste Premiere: das Konzert vorm Konzert. Das Preview-Erlebnis von Generalmusikdirektor Andreas Schüller ist am Samstag während des Stadttheaterfestes in seine erste Runde gegangen. Unter dem Titel »Furioses Hörabenteuer« gibt es im Großen Saal hohe Erwartungen.
Und tatsächlich: Die Vorschau wird zur köstlichen Nachbetrachtung, beschäftigt sich mit Kompositionen von Rolf Liebermann und Richard Strauss, die Schüller drei Tage zuvor beim ersten Sinfoniekonzert in dieser Spielzeit zu Gehör brachte (wir berichteten am Freitag).
Heute geht es um die Details, die in der naturgewaltigen Musik häufig theoretischer Natur sind. Schüller und das Orchester machen daraus einen unterhaltsamen, lehrreichen und kurzweiligen Abend.
Dem Dirigenten gelingt es, auch die zahlreichen Kinder im neugierigen Saal einzubinden, wenn er die Bausteine einer Komposition wie Lego-Klötzchen fein säuberlich zusammensetzt, um sie ebenso akkurat wieder voneinander zu trennen und einzeln ins musikalische Licht zu halten. Etwa den glatten Achter, den jeder Legoburgbesitzer (Schüller: »Ich hatte eine als Kind«) gut kennt.
Die Musiker stellen die Themen einzeln vor, ehe der Maestro sie, bisweilen taktweise, erläutert und zu einem harmonischen Ganzen verbindet. Um die Feinheiten zu verdeutlichen, geschieht das auch mal im Zeitlupentempo.
Zwischen Tuba und Bassposaune sitzen
Liebermanns »Furioso für großes Orchester«, 1947 in Darmstadt uraufgeführt, wird mit seinen Offbeat-Akkorden zu einem Erklärparadestück. Schüller erwähnt die »Überrumpelungstricks« des Schweizer Komponisten ebenso wie die Zwölftonreihe und die Klangkaskaden am Flügel.
Danach musiziert das Orchester das bombastische kleine Werk in Gänze. Gleiches Spiel bei »Till Eulenspiegels lustige Streiche« aus der Feder von Richard Strauss.
Der Münchner Tonmaler gibt in seiner sinfonischen Dichtung virtuose Schelmenstücke zum Besten, etwa die Episode von Till an der Uni als falscher Gelehrter oder den makabren Gag unter der Soutane des Pfarrers, ehe der Antiheld schließlich am Galgen baumelt.
Am Ende lässt Schüller zahlreiche Besucher inmitten des Orchesters Platz nehmen, um dem musikalischen Ereignis aus nächster Nähe zu lauschen. »Wenn Sie einmal zwischen Bassposaune und Tuba gesessen haben, verändert das Ihr Leben«, schmunzelt der Dirigent.
Und so kommen Erwachsene und der Nachwuchs im Grundschulalter ganz dicht heran an die Musiker. Ein Junge bestaunt die Pauken von Joachim Michelmann, ein weiterer sitzt auf dem Klavierhocker von Evgeni Ganev und ein Mädchen bewundert mit großen Augen die Kunstfertigkeit der Piccoloflötistin Regina Balbach.
Ein wahrhaft traumhaftes Konzertabenteuer. Die nächste Preview (dann einen Tag vor dem dazugehörigen Sinfoniekonzert) stellt am 26. Oktober die Tuba in den Mittelpunkt. Unbedingt hingehen!
Manfred Merz