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Der »Eintracht« verziehen

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Helmut »Sonny« Sonneberg (4. v. l.) bei der Filmpremiere gemeinsam mit (v. l.) Fiszel Ajnwojner, Suzanne Sonneberg-Schnell, Matze Thoma, Natalija Köppl, Jonas Kreutzer, Ulrike Weckel und Sascha Schmidt. © Felix Leyendecker

Helmut »Sonny« Sonneberg ist ein waschechtes Frankfurter Original. Der heute 90-Jährige fand nach seiner verlorenen Kindheit im Nationalsozialismus seinen Weg zu »Eintracht Frankfurt« und hat dort seine Heimat gefunden. Jahre nach den NS-Gräueln sprach er erstmals über die damalige Zeit. Vier Gießener Studenten haben ihn nun in einem Dokumentarfilm verewigt.

Helmut Sonneberg, genannt Sonny, ist »Eintracht«-Fan durch und durch. Schon in seiner Kindheit drehte sich viel um Fußball, doch 1938, als er sieben Jahre alt war, erfuhr Sonneberg, dass er Jude sei. 1943 musste er seine Familie verlassen und kam in ein jüdisches Waisenhaus, 1945 sogar nach Theresienstadt. Als er als 16-Jähriger wieder nach Frankfurt zurückkehrte, suchte er nach Geborgenheit - und fand sie bei »Eintracht Frankfurt«. Dort gehörte er endlich dazu, niemand fragte nach seinen Erfahrungen als Jugendlicher. Bis er vor gar nicht so langer Zeit beschloss, doch einmal davon zu erzählen.

Anhänglichkeit an den lokalen Fußballverein ist weit verbreitet. So natürlich auch bei »Eintracht Frankfurt«. Der Verein füllt, abseits der Pandemie, regelmäßig das frühere »Waldstadion« mit mehr als 50 000 Plätzen. Woraus entsteht so ein Zugehörigkeitsgefühl? Was gibt es dem Einzelnen? Und auf welche Proben stellt es die Fußballleidenschaft deutsch-jüdischer Fans, dass »Eintracht Frankfurt« nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten jüdische Sportler sowie Sportfunktionäre ausschloss und von 1955 bis 1970 den ehemaligen »Eintracht«-Nationalspieler und SS-Mann Rudolf Gramlich zu ihrem Vereinspräsidenten machte?

Diesem Thema geht der neue Film aus dem Studiengang Fachjournalistik Geschichte der Justus-Liebig-Universität nach. Vier Masterstudierende erzählen in ihrer Dokumentation »Dem Verein verzeiht man, dem Land nicht. Jüdische Fußballfans in Frankfurt«, welche Rolle der Fußball im Leben einiger jüdischer Frankfurter spielt.

Ein weiterer Protagonist des Films ist Fiszel Ajnwojner, heute Vorsteher der Frankfurter Westend-Synagoge. Als Kind polnischer Holocaust-Überlebender in einem Lager für »Displaced Persons« geboren, bestand seine Kindheit im Nachkriegsdeutschland vor allem daraus, vorsichtig zu sein und nicht aufzufallen - die Angst der Eltern vor erneuten Pogromen war groß. Nach der Wiedergründung von Makkabi Frankfurt begann Ajnwojner dort als junger Mann Fußball zu spielen - in einem damals dezidiert jüdischen Verein, dessen Geschichte der Film ebenfalls beleuchtet.

Die jungen Filmemacher Jonas Kreutzer, Natalija Köppl, Julian Feider und Simon Bloemers schafften es, in ihrer 45-minütigen Dokumentation ein eindrucksvolles Werk abzuliefern, welches durch Tiefgang beeindruckt. Sonneberg und Ajnwojners Geschichte, untermalt mit historischen Aufnahmen von »Eintracht Frankfurt« zur Zeit des Nationalsozialismus, wirkten wie ein mahnend erhobener Finger, dass sich Antisemitismus in deutschen Stadien und Mannschaften jederzeit wiederholen könne, wenn die Vereine diesen Tendenzen nicht Einhalt geböten.

Der Kontakt zu Sonneberg kam durch Julian Feider zustande, welcher im »Eintracht Frankfurt«-Museum gearbeitet hatte und zur Premiere im Kinocenter ebenso wie Simon Bloemers nicht anwesend sein konnte. »Ich habe die jungen Leute im Eintracht Museum kennengelernt. Sie und das Museum haben mich dazu gebracht, darüber (die NS-Zeit, Anm. d. Red.) zu reden, obwohl ich nie darüber reden wollte«, sagte Sonneberg im Anschluss an die Filmvorführung im Kinocenter. Welcher Mensch auf der Erde könne etwas dafür, wie er geboren werde. »Jetzt stehe ich vor euch und weiß nicht, was ich sagen soll. Demokratie ist die schönste Regierungsform, die es gibt. Aber auch die schwierigste.« Dem Verein, dem habe Sonneberg nach langer Zeit verziehen, dass sie einen SS-Mann als Präsidenten eingesetzt hätten. Die Nationalhymne singe er bei Länderspielen bis heute nicht mit. »Ich kann mich damit nicht identifizieren.«

Ajnwojner ergänzte, dass die Geschichte Sonnebergs wichtig sei. »Als Kickers Offenbach Fan, noch dazu aus Frankfurt, noch dazu als Jude, da musst du widerstandsfähig sein. Aber Sonny, es ist wichtig, dass du deine Geschichte erzählst und das noch viele Jahre lang tust. Bei den niederen Ligen ist Antisemitismus das täglich Brot«, unterstrich Ajnwojner.

Sonneberg ist in den letzten Jahren immer stärker in die mediale Berichterstattung gerückt. Der Hessische Rundfunk hat einen Film über ihn gemacht und am 4. Mai ist er bei Markus Lanz eingeladen. Das muss er vermutlich aber absagen - vorausgesetzt die »Eintracht« gewinnt das Viertelfinalrückspiel gegen Barcelona und zieht ins Halbfinale ein, denn am 5. Mai wäre das Halbfinalrückspiel. Da hat die »Eintracht« für »Sonny« natürlich wieder Vorrang.

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