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Dem Zeitgeist geschuldet?

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Von: Barbara Czernek

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Die Teilnehmer der Diskussionsrunde zum Thema »Strafbarkeit bei Auto-Raser-Fällen - auch wegen Mordes?« liefern sich im Rathaus eine spannende Diskussion. © Barbara Czernek

Gießen (bac). Der Unfall im Jahr 2016 schrieb Rechtsgeschichte: Zwei Autofahrer lieferten sich mitten in Berlin ein illegales Autorennen, in dessen Folge ein Mensch starb. Im Anschluss an ein langwieriges Verfahren wurden zum ersten Mal in Deutschland die beiden Verursacher wegen Mordes verurteilt. Das Urteil wurde mehrmals zwischen dem Landgericht Berlin und dem Bundesgerichtshof hin und her verwiesen, bis es 2022 rechtskräftig wurde.

Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen und löste eine allgemeine Debatte über verbotene Kraftfahrzeugrennen aus, die in einem neuen Gesetz im Strafgesetzbuch endete, dem Paragrafen 315d - Verbotene Kraftfahrzeugrennen.

Vor diesem Hintergrund hatte der Verein Criminalium zuletzt zu einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion »Strafbarkeit bei Auto-Raser-Fällen - auch wegen Mordes?« in den Hermann-Levi-Saal des Rathauses eingeladen. Den Impulsvortag hielt Prof. Bernhard Kretschmer, Leiter der Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Justus-Liebig-Universität, bevor auf dem Podium Prof. Marcel Verhoff, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt, Dr. Klaus Bergmann, Vorsitzender Richter am Landgericht Gießen, der Gießener Rechtsanwalt Ramazan Schmidt sowie Sabine Richter von der Pressestelle des Polizeipräsidiums Mittelhessen und Polizeiobermeister Michael Schramm von der Arbeitsgruppe »Drifter« der Gießener Polizei Stellung nahmen.

In dem Impulsvortag bezog sich Kretschmer auf jenen eingangs beschriebenen Unfall. Für den Professor ist der neue Paragraf 315d mit heißer Nadel gestrickt worden. »Durch dieses Gesetz ist eine Ordnungswidrigkeit zu einer Straftat erhoben worden mit all seinen Folgen.« Der Paragraf würde sich auf alle Kraftfahrzeuge beziehen. Unter diesen Begriff würden jedoch deutlich mehr Fahrzeuge fallen als nur Autos, zum Beispiel auch E-Scooter. Wenn nun zwei Fahrer sich damit ein Rennen liefern würden, dann würden sie eine Straftat begehen. Er sieht insgesamt eine starke Tendenz in Richtung Strafverschärfung, die sich in den Gesetzestexten der jüngsten Zeit widerspiegle.

In der anschließenden Diskussion erörterten die Juristen gemeinsam mit den beiden Polizeibeamten und dem Rechtsmediziner die aktuelle Problematik des Gesetzes. So beschrieb Verhoff die Folgen eines Zusammenpralls mit sehr hoher Geschwindigkeit. Die Rechtsmedizin würde durch das Zusammentragen der einzelnen Puzzlesteine zur Aufklärung des Tathergangs beitragen. Rechtsanwalt Schmidt gab offen zu, dass er das Strafmaß nicht so recht nachvollziehen könne. »Sind Autoraser automatisch auch Mörder?«

Tendenz zu

Strafverschärfung

Mit dieser Gleichsetzung habe er Probleme, gerade in Hinblick auf die verschiedenen Merkmale, die zwingend zu einem Mord gehören würden. Für ihn ist dieses Urteil dem aktuellen Zeitgeist geschuldet. Dem widersprach Bergmann aus Sicht des Richters, denn jedes Gericht versuche, dem Angeklagten und seinen Motiven gerecht zu werden und man würde nur die jeweils geltenden Gesetze anwenden. Einigkeit herrschte dahingehend, dass die höheren Instanzen wie der Bundesgerichtshof oder auch das Bundesverfassungsgericht wesentlich enger mit den politischen Ebenen verknüpft seien als die unteren Gerichtsbarkeiten.

Der Kriminologe Prof. Arthur Kreuzer wies in seinem Redebeitrag darauf hin, dass man bei aller Diskussion um die Frage, ob es sich bei solchen Raserunfällen um einen Mord oder einen Mordversuch handle, immer auch die Verhältnismäßigkeit der Tat berücksichtigen müsse. Seiner Ansicht nach habe dies der Bundesgerichtshof in seiner Beurteilung der Urteile in dem Berliner Verfahren nicht ausreichend getan.

Zum Thema der Poser, Tuner und Drifter im hiesigen Raum berichtete Schramm, dass die Polizei regelmäßig Fahrzeuge aus dem Verkehr ziehe, die unerlaubte Einbauten aufweisen würden. Das führe zur Stilllegung und zu saftigen Strafen, auch für den Fahrzeughalter. In dieser Szene seien alle Personen- und Altersgruppen vertreten, sodass man nicht von einem einheitlichen Bild sprechen könne. Insgesamt kam die Diskussionsrunde zu dem Ergebnis, dass es sich bei dieser Problematik nur um einen ganz kleinen Teil des Strafrechts handele, dem ein hohes Maß an Aufmerksamkeit geschenkt wird.

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