Dem Chaos standhalten

Er will Räume schaffen. Bilder für die Köpfe. Zustände analysieren. Auswege finden. Brisant sein und progressiv. Am Freitag steigt im Stadttheater die erste Premiere des neuen Tanzchefs Constantin Hochkeppel.
Physical Theatre - was war das noch gleich? Eine Theateraufführung, die das Geschichtenerzählen durch körperliche Bewegung umfasst. Aber auch Text einfließen lässt. Und natürlich Musik. Oder wie es Constantin Hochkeppel formuliert: »Das Physical Theatre ist energetisch und physisch zugleich.«
Der neue Leiter der Tanzsparte am Stadttheater schickt in seiner ersten Premiere die Crew mit den Mitteln des zeitgenössischen Tanzes und des Physical Theatres auf einen kaleidoskopartigen Trip. Wo steht das Individuum und wo die Gesellschaft? Und wie können beide dem Chaos der Gegenwart standhalten, statt sich davon mitreißen oder lähmen zu lassen? Diesen Fragen geht Hochkeppel in seinem Stück »where we are (at)« nach. Die Uraufführung beginnt am kommenden Freitag, 13. Januar, um 19.30 Uhr im Großen Haus.
Und, ja, es wird ernst. Aber nicht nur. »Wir fühlen in unserer Gegenwart eine unendlich andauernde Zeit der Gefährdung, auch wenn wir nicht direkt von den Folgen internationaler Konflikte und Katastrophen betroffen sind«, sagt Hochkeppel beim Pressegespräch am Montag.
Der 32-Jährige betont für seine Arbeit stets die Bedeutung des Kollektivs. Gemeinsam mit Tanzdramaturgin Caroline Rohmer, Nicolas Rauch (Bühne), Sophie Lichtenberg (Kostüme) und Choreograf Niv Melamed will er in »where we are (at)« ausgetretene Pfade verlassen und Neues schaffen, getreu der Maxime: Wo sind wir, wer sind wir und wo wollen wir hin? Die gesprochenen Texte stammen zum Großteil von den Tänzern.
Unterlegt ist der Abend mit den Soundscapes (Klanglandschaften) eines diversen Künstlers, ein versal geschriebener HANNS, der seine Schöpfungen mit dem Synthesizer zur Welt bringt. Der Tondichter spickt seine fließenden Gedankengegenden mit Referenzen an ikonische Bilder aus der Zeitgeschichte.
Um nicht im Sog der Ängste und banalen Lösungen unterzugehen, gilt es für Hochkeppel, Räume zum Denken und für die Begegnung zu bewahren. Oder sie zu erschaffen. Poetisch, kritisch und nicht zuletzt humorvoll will der junge Theatermann mit seinem Ensemble erforschen, »wie wir gemeinschaftlich verbunden bleiben können, auch wenn alles um uns herum zu kollabieren droht«.
Rucksack ohne Taschen
Letztlich zeigt das Regieteam die Bestandsaufnahme einer Gesellschaft am Abgrund. »Wir verharren dabei aber nicht in der Dystopie, sondern suchen nach Wegen der Befreiung und Transformation.«
Rauch hat dafür einen Gummizellen-Bühnenraum geschaffen, der nach und nach ein beunruhigendes Eigenleben entwickelt. Kontrollverlust und Zusammenbruch für die vermeintlichen Insassen zeichnen sich ab.
Die Kostüme von Lichtenberg verbinden Stilfragmente unterschiedlicher Epochen mit Details, die wie Rudimente erscheinen, etwa ein Rucksack ohne Taschen. So sollen Bilder einer »verwirbelten Zeit« entstehen.
Dramaturgin Rohmer erklärt: »Statt sich vor den Unruhen der Welt und unserer Gesellschaft abzuschotten, entwickelt die dargestellte Bühnengemeinschaft unterschiedliche Strategien, um in gegenseitiger Sorge füreinander den Kontakt nicht zu verlieren.« Ob es dabei Tumulte geben wird? Gut möglich. Zukunft könnte ein Ausweg heißen.