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Das Schöne wartet hinter jeder Ecke

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Von: Marion Schwarzmann

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Peter Kurzeck lächelt dazu: Norbert Schmidt (r.) und Marc Schäfer stellen in einer launigen Lesung ihren Stadtführer »Gießen zu Fuß« im Schuhhaus Darré vor. © Marion Schwarzmann

Eine Lesung aus einem Stadtführer - kann das funktionieren? Durchaus. Norbert Schmidt und Marc Schäfer beweisen mit ihrem Vortrag im ausverkauften Schuhhaus Darré, wie reizvoll Spaziergänge durch die Universitätsstadt sein können.

Gießen in einem Atemzug mit New York, London und Paris zu nennen, klingt schon sehr vollmundig. Doch Marc Schäfer scheut diesen Vergleich nicht, wenn es um die Street-Art an heimischen Fassaden und Stromkästen geht. Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, kann die bunte Malerei internationaler Künstler an vielen freiliegenden Wandflächen entdecken, die durch die Bombardierung während des Zweiten Weltkriegs zurückgeblieben sind - Street-Art als Heilung der Wunden.

Über 30 Kunstwerke in gut einer Stunde

Das renommierte Trio 3Steps gab den entscheidenden Impuls für diese Stadtverschönerung, als es 2017 sein River-Tales-Festival mit zwölf Mitwirkenden aus aller Welt realisieren konnte. Über 30 Werke - häufig mit Botschaft - können bei einem gut einstündigen Spaziergang durch die Innenstadt unter freiem Himmel besichtigt werden. Und Schäfer erklärt genau, wo sie zu finden sind - im Buch und bei der Vorstellung dieser überraschenden Tour mit den entsprechenden Bildern auf der Leinwand im Hintergrund.

Auch Norbert Schmidt erinnert gleich bei der Begrüßung an den Duft der großen, weiten Welt, den die Besatzungsstadt Gießen einst unter den Amerikanern atmete. Im legendären Woodland-Club gaben Stars wie James Brown und Earth, Wind & Fire für die US-Soldaten Konzerte. Doch 2003 war Schluss und die »Stadt in der Stadt« vollzieht seitdem einen Wandel.

Schäfer und Schmidt kennen Gießen wie ihre Westentasche. Der eine (mac) ist Leiter der Stadtredaktion dieser Zeitung und gehört zur Chefredaktion, der andere (no) führte bis zu seinem »Unruhestand« die Kreisredaktion. Für die insgesamt zwölf Rundgänge, die im Stadtführer »Gießen zu Fuß« kompetent und kurzweilig geschildert werden, suchten sich die beiden Unterstützung bei den Kollegen Ulla Sommerlad, Christine Littau-Rust, Burkhard Möller und Guido Tamme. Inzwischen liegt das handliche Buch, das im Frankfurter Societäts Verlag erscheint, bereits in der zweiten Auflage vor. 2021 im zweiten Corona-Frühling auf dem Markt gebracht, entwickelte sich der Band mit den zahlreichen Fotos von Oliver Schepp und Fabian Hackenberg rasch zum Verkaufsschlager.

Zwei Autoren - zwei Generationen: Das spiegelt sich auch in der Auswahl ihrer jeweiligen Themen wider, mit denen sie die Stadt durchaus kritisch unter die Lupe nehmen. Schäfer stellt das Universitätsviertel vor, wo das Leben pulsiert. Schmidt betrachtet die Einkaufsmeile Seltersweg, die er zum Oberhessenboulevard erhebt und mit dem sich viele Jugenderinnerungen verbinden. Nicht nur bei ihm, sondern auch bei vielen der rund 100 Zuhörer, wenn vom verschwundenen Volksbad oder vom Filmpalast Gloria die Rede ist, die beide der sich ausbreitenden Kaufhauskultur weichen mussten.

Kurzeck im Seltersweg

Moderator Schmidt hat noch einen Überraschungsgast in petto, der schon den ganzen Abend als Gießener Kopf, geformt von Helgrit Völpel, das Podium ziert und den er dann per Audio-Zuspiel über den Seltersweg flanieren lässt. In seiner unnachahmlichen Weise schildert der 2013 verstorbene Schriftsteller Peter Kurzeck, der einst eine Lehre in der Ferber’schen Buchhandlung machte, in dem Hörbuch »Der Sommer, der bleibt« seine ganz speziellen Beobachtungen am Teufelslustgärtchen. Zum Amüsement des erfreuten Publikums bekommt hier auch noch das Schuhhaus Darré sein Fett weg. Von einem »schrecklichen Chef« sei ihm nichts bekannt, weist Gastgeber Heinz-Jörg Ebert gut gelaunt die Kritik zurück. Die beiden nächsten Lesungen mit dem Duo am 9. und 10. November sind bereits ausverkauft.

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