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»Das Leben ist eine Polaroidkamera«

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Von: Sascha Jouini

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Jelena und Timon Herder bewiesen eine poetische Ader. © Sascha Jouini

Gießen (jou). Die Reihe »Eine(r) liest« wurde am Sonntagvormittag in den Marktlauben um ungewöhnliche Facetten bereichert: Das Duo Jelena und Timon Herder präsentierte eigene Texte und Lieder über die Sinnsuche, Selbstfindung und den Glauben. Die Theologin und der Pädagoge machten den Besuchern Mut, schwere Zeiten durchzustehen und nach vorn zu blicken.

Schon der programmatische Prolog »Wir sind Schätzesammler« vergegenwärtigte, dass wir in unserem Leben Momentaufnahmen sammeln. Um diesen Aspekt ging es auch in dem Text »Das Leben ist eine Polaroidkamera«: Schnappschüssen gleich bleiben in uns Erinnerungen haften. Nicht alles ist gut getroffen, manches hätte man sich anders gewünscht, doch lässt sich nichts nachbearbeiten. Jelena Herder appellierte daran, das Dasein mit allen Höhen und Tiefen anzunehmen.

Mit ihrer sanften, aber ausdrucksvollen Stimme beeindruckte Jelena auch in diversen Songs. Dabei waren die Darbietungen gedanklich eng aufeinander bezogen, so knüpfte das Lied »Reich« an den vorangehenden Text an, es ging um den inneren Reichtum an Erfahrungen.

Die Arrangements gerieten durchweg ausgefeilt. Jelena begleitete sich souverän am E-Piano, Timon sorgte am Schlagzeug für ein vornehm-dezentes Rhythmusfundament. Das junge Duo kam mit seiner poetischen Ader authentisch herüber und vermittelte den Eindruck, von der existenziellen Dimension der Beiträge wirklich etwas zu verstehen.

Mal hielt Jelena - sie übernahm den Sprechpart - vor Augen, wie wichtig Visionen für unser Dasein sind, auch wenn Träume zuweilen wie Seifenblasen platzen. Dann rief die Künstlerin ins Bewusstsein, dass wir einen Ansporn brauchen, um nicht weit vor unseren Zielen stehenzubleiben. Besonders eindrücklich schien die Metapher der traditionellen japanischen Klebekunst Kintsugi. Darin werden, verbunden mit dem Zen-Buddhismus, Keramik- oder Porzellanscherben wieder zu einem Gefäß zusammengefügt. Dies zeige, so Jelena, eine besondere Vorstellung von Schönheit: Das Unperfekte mit allen Gebrauchsspuren werde geschätzt. Ähnlich verhalte es sich in unserem Leben, in dem sich Risse und Brüche nur schwer reparieren lassen - »und doch werden wir immer wieder ganz«.

Die Matinee war insgesamt auf angenehm undogmatische Weise lehrreich. So lieferte das Duo den zahlreichen Besuchern Anstöße zu kämpfen, Rückschläge zu überwinden und sich nicht vom eigenen Weg abbringen zu lassen. Das Publikum zeigte sich von der gelungenen Synthese aus nachdenklich stimmenden Texten und entspannenden Musikdarbietungen tief beeindruckt. FOTO: JOU

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