„Das ist hart“: SWG macht nächste Strompreis-Erhöhung in Gießen offiziell
Erst der Strom, dann Fernwärme und Gas und nun wieder Strom. Die mittlerweile vierte Preiserhöhung in diesem Jahr haben die Gießener Stadtwerke am Dienstag verkündet.
Gießen - Die Grafiken, die seit diesem Jahr an die Wand geworfen werden, wenn die Stadtwerke Gießen zur Pressekonferenz einladen, gleichen sich. Im Februar fühlte man sich an das EKG eines Menschen erinnert, der gerade 100 Treppenstufen hinaufgestiegen ist, am Dienstag hätten es auch Streckenprofile einer Bergetappe bei der Tour de France sein können. Steil, steiler, am steilsten sind die Strompreise zuletzt wieder an der Leipziger Energiebörse EEX gestiegen. Das hat auch Folgen für die Preispolitik der Gießener Stadtwerke, deren kaufmännischer Vorstand Jens Schmidt von einer »dramatischen Entwicklung« auf dem Energiemarkt sprach.
Für die Kunden des stadteigenen Versorgers heißt das: Der Strompreis in der Grundversorgung steigt zum kommenden 1. Januar um knapp 18,2 Cent auf knapp 46,7 Cent pro Kilowattstunde. Für einen Haushalt mit einem jährlichen Verbrauch von 2200 Kilowattstunden machten das monatliche Mehrkosten von 33 Euro oder knapp 400 Euro mehr pro Jahr aus. Prozentual mache dies eine Erhöhung um fast 53 Prozent aus. SWG-Sprecher Ulli Boos stellte unumwunden fest: »Das ist hart.«
SWG: Strompreise in Gießen steigen deutlich - Beschaffungsstrategie stößt an Grenzen
Dagegen wirkt die gut achtprozentige Strompreiserhöhung, die die SWG im vergangenen Februar zum 1. April verkündet hatten, geradezu sozialverträglich. Aber der Strom hat sich laut Vorstand Schmidt seitdem an der Energiebörse um das Dreifache verteuert, im Vergleich zu 2020 sei er siebenmal so teuer geworden.

An Grenzen stoßen die Stadtwerke mittlerweile auch mit ihrer üblichen Beschaffungsstrategie. »Wir decken uns in vielen kleinen Teilmengen und bis zu drei Jahre im Voraus mit Strom ein«, erklärte Andreas Fuchs, Leiter Vertrieb bei den SWG. Das bedeute: Zu festgelegten, regelmäßigen Terminen kauften die SWG ähnliche Strommengen und erreichten so einen langfristigen Durchschnittskosteneffekt. Aber sowohl der mengenmäßige als auch der zeitliche Spielraum für den Kauf einzelner Teilmengen seien »überschaubar« geworden. Der Nutzen dieser bislang durchaus erfolgreichen Strategie nehme halt stetig ab, wenn die Börsenkurse dauerhaft kletterten oder über einen längeren Zeitraum hoch blieben. »In solchen Situationen folgen immer auch unsere Preise mit dem entsprechenden zeitlichen Verzug. Genau das passiert gerade«, sagte Fuchs.
Gießen: Strompreise bei SWG vergleichsweise günstig? „Wir wissen, dass dieser Vergleich niemandem hilft“
Davon betroffen seien nicht nur die Grundversorgung, sondern die gesamte aktuelle Produktpalette. Die verschiedenen Tarife - darunter auch die für Stromheizungen und Wärmepumpen - würden zum 1. Januar zwischen 53 und 115 Prozent teurer. Dass speziell Strom für die Nachtspeicherheizung künftig mehr als doppelt so viel kosten werde wie bisher, habe einen einfachen Grund: Diese Preise seien zuletzt 2020 angepasst worden.
Mit einem Kilowattstundenpreis von deutlich unter 50 Cent stünden die SWG vergleichsweise noch günstig dar, hieß es, aber Unternehmenssprecher Boos sagte: »Wir wissen, dass dieser Vergleich niemandem hilft, wenn immer höhere Energiekosten die Haushaltskasse überfordern.« Wie schon bei einer Anwohnerversammlung im Nordstadtzentrum vor einigen Wochen richtete Boos einen dringenden Appell an die Kunden: Wer Zahlungsschwierigkeiten absehen könne, sollte sich direkt mit den SWG in Verbindung setzen, damit man gemeinsam nach einer Lösung suchen könne. Boos: »Die Zahlungen einfach einzustellen, ist keine gute Idee. Dann müssen wir ein Mahnverfahren in Gang setzen, was zusätzliche Kosten und überflüssigen Ärger verursacht.« Um hohe Nachzahlungen zu vermeiden, passten die SWG die Abschläge automatisch an. Kunden würden darüber in separaten Schreiben informiert.
Gas und Wärme in Gießen: Preise vorerst stabil
Wie Boos sagte, sei die Nachfrage nach Beratung deutlich gestiegen, sowohl was mögliche Zahlungsschwierigkeiten betreffe als auch das Energiesparen. »Wir hatten Online-Veranstaltungen mit mehr als 100 Teilnehmern.«
Die Preise für Erdgas und Fernwärme bleiben laut SWG über den 1. Januar hinaus konstant. Dazu komme die Aussicht, dass die Politik schon bald entscheide, wie genau die Gaspreisbremse sowie der Strompreisdeckel umzusetzen seien und in welchem Umfang die beiden Maßnahmen Energiekunden entlasten. »Selbstverständlich setzen die SWG alles daran, beide Vorgaben so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen feststehen«, betonten die SWG-Vertreter.
Vor allem im letzten Halbjahr hätten die Energieversorgungsunternehmen wiederholt sehr kurzfristig auf Entscheidungen der Bundespolitik reagieren müssen, wie bei der Gasumlage oder der Mehrwertsteuersenkung. Dies vor dem Hintergrund, dass Unternehmen mit Grundversorgung Preisänderungen sechs Wochen vorher ankündigen müssten. Der Aufwand sei »enorm«, sagte Schmidt.
Wie die SWG bestätigten, gilt momentan vor allem für gewerbliche Großkunden, die hauptsächlich nicht aus der heimischen Region kommen, für 2023 ein »Angebotsstopp«, weil die SWG im Moment auf zu wenig Vorlieferanten zurückgreifen können und die Priorität bei der Energieversorgung der Kunden in der Kernregion sehen.