Das Gold in den Kinderkehlen

Kindern den Schatz der eigenen Stimme zu erschließen, das ist das Ziel von Gesangspädagogin Friedhilde Trüün und ihres Projekts »SingRomantik«. Das wird in dieser Woche an der Petruskirche angeboten und endet dort am morgigen Freitag mit einem Konzert. Rund 250 Grundschüler aus Gießen und Grünberg machen mit.
Wir müssen nicht immer mit Tschaka aufhören«, ruft Gesangspädagogin Friedhilde Trüün den gut 100 Kindern im Gemeindesaal der Petruskirche zu. Sie steht dort auf einem Podest, daneben sitzt an diesem Mittwochmorgen Dekanatskantorin Cordula Scobel und begleitet die Chorprobe am Klavier. Die Blicke der Jungen und Mädchen im Grundschulalter sind fast durchgängig auf die Gesangslehrerin gerichtet. Und wirkt mal ein Kind kurz unkonzentriert, spricht Trüün es direkt mit seinem Namen an. »Wir bleiben stehen. Haltet die Spannung, setzt euch nicht sofort hin«, ermuntert sie die Jungen und Mädchen immer wieder, über die gesamte zweistündige Probenzeit mit Aufmerksamkeit, aber vor allem mit ganz viel Spaß an der Musik, dabei zu sein. Und das nicht mit dem üblichen Schulchorrepertoire, sondern mit Kompositionen aus der Zeit der Romantik.
Romantik-»Hits« für Kinder arrangiert
Den Gefangenenchor aus Verdis »Nabucco«, Smetanas »Moldau«, die Ouvertüre zu Wilhelm Tell von Rossini, den fröhlichen Landmann von Schumann, die ungarischen Tänze von Brahms oder »Morgenstimmung« von Edvard Grieg lernen die Kinder innerhalb der intensiven Probenwoche kennen. Die für Kindersingstimmen von Frank Schlichter arrangierten 13 Lieder werden sie am morgigen Freitag um 16.30 Uhr beim Konzert in der Petruskirche vortragen. Dann begleiten sie Frank Schlichter und sein Jazzensemble, die Kinder Theo und Julia moderieren das Konzert mit gereimten Ansagen.
Vor einigen Jahren hat Trüün bereits mit ihrem Projekt »SingBach« Grundschüler für die Musik des Thomaskantors begeistern können, in diesem Jahr geht es bei »SingRomantik« um »Hits« der romantischen Komponisten. »Kinder machen da noch keinen Unterschied«, sagt sie und studiert mit insgesamt 250 Grundschulkindern, aufgeteilt in zwei große Gruppen pro Tag, die Werke ein. Dabei spielen Gesten, entlehnt aus der Gebärdensprache und Stimmbildung, eine große Rolle. »Die Gesten sind eigentlich das Wichtigste«, erzählt Trüün. »Durch sie lernen die Kinder die Texte.« Die Lehrer sollen vorher ausdrücklich nichts mit den Schülern einstudieren, das würde sie nur irritieren. Eine konzentrierte, aber zugleich harmonische Atmosphäre ist der Gesangspädagogin bei den Proben wichtig. Dass Texte und Melodien innerhalb weniger Tage sitzen, liege auch daran, dass sie den Kindern alles mit Gesten zeige, betont sie. »Sie müssen einfach nur gut geführt werden.«
Monika Hotte ist eine der Lehrkräfte, die mit ihrer Förderschulklasse am Projekt teilnimmt. Für sie war es klar, dass man den Grund- und Förderschülern die Faszination der musikalischen Arbeit mit der Gesangspädagogin Friedhilde Trüün nicht vorenthalten darf. Auch die Musiklehrerinnen der Grundschule Gießen West mit Beate Michel, Silke Dietz-Kaufmann, Isabelle Wenzel, Maren Kolbe, der Hedwig-Burgheim Schule Rödgen mit Barbara Durstewitz-Hermann und Thekla Schulz-Nigmann, der Korczak-Schule mit Anke-Tatjana Gürlich, Sonja Wloka, Luritz Toplak, Cora Habermehl, sowie der Ludwig-Uhland-Schule mit Katrin Hägerich, Christine Müller und Stephanie Peuker waren gleich Feuer und Flamme.
Feuer und Flamme sind auch die Kinder bei der Chorprobe. Als Trüün ankündigt, jetzt die »Moldau« zu singen, erklingt ein Raunen im Saal. Und spätestens bei der »Morgenstimmung« aus »Peer Gynt« geht auch in so mancher Kinderkehle förmlich die Sonne auf. »Ich finde, das ist solch eine tolle Stelle, genießt sie«, schwärmt Trüün - und die Begeisterung ist auch den Kindern anzumerken.
»Solche Momente gibt es immer wieder«, schwärmt Trüün, nachdem ein Junge aus der ersten Reihe einen von ihr angesungenen Ton aus der zweiten Oktave perfekt ins Mikrofon singt. »Jetzt weißt du, warum du Sänger werden musst«, lobt sie den sichtlich stolzen Grundschüler und ermuntert ihn, die Musical AG seiner Schule zu besuchen. Durch die Teilnahme ganzer Schulklassen am Projekt werden auch Kinder mitgezogen, die sonst weniger Kontakt zur Musik haben. Und besonders die Jungs packt Trüün mit viel Lob, um sie aus der Reserve zu locken: »Ihr habt das Gold in der Kehle«, ruft sie ihnen zu und erläutert: »Jungs behalten diese hohe Stimme.«
Auch als ein auf dem benachbarten Krankenhaus landender Rettungshubschrauber kurz alle Blicke auf sich zieht, gelingt es Trüün schnell wieder, die Kinder in die Probenkonzentration zurückzuholen. Und mit einem gemeinsam gerufenen »Seid ihr wach und seid ihr da, geht es los mit Tschaka« endet die zweistündige Chorprobe.