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Corona-Demo in Gießen erstmals angemeldet – OB findet bei Gegenprotest klare Worte

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Von: Burkhard Möller

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Die »Spaziergänger« laufen durch das Spalier mit Gegendemonstranten.
Die »Spaziergänger« laufen durch das Spalier mit Gegendemonstranten. © Oliver Schepp

In Gießen wächst der Widerstand gegen die montäglichen Demos von Impfgegnern. Bei einer Gegenkundgebung bezeichnete OB Frank-Tilo Becher die sogenannten Spaziergänge als »Irrweg«. Der Marsch durch die Fußgängerzone war erstmals bei der Stadt angemeldet worden.

Gießen – Marschmusik im Hintergrund, laute Rufe, ein Pfeifkonzert und klatschender Beifall: Bei geschlossenen Augen hätte man die Geräuschkulisse am frühen Montagabend (24.01.2022) im Seltersweg auch einem Fassenachtszug zuordnen können. Was sich seit einigen Wochen montags in der Gießener Innenstadt abspielt, ist aber alles andere als lustig. Auch vorgestern Abend prallten die Meinungen und Emotionen in der Debatte um die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie teils heftig aufeinander, glücklicherweise aber erneut nur verbal.

Insgesamt hatten sich schätzungsweise bis zu 300 Leute versammelt. An der erstmals bei der städtischen Versammlungsbehörde angemeldeten Demonstration gegen die Corona-Politik und insbesondere die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht nahmen knapp 100 Personen teil, zwischen 150 und 200 Leute waren dem Aufruf des Bündnisses »Gießen bleibt bunt« zum Gegenprotest gefolgt.

Corona-Demo in Gießen: „Unerträgliche“ Gleichsetzungen mit der NS-Zeit

Auf einer vom Deutschen Gewerkschaftsbund angemeldeten und von DGB-Geschäftsführer Matthias Körner moderierten Kundgebung auf dem Rathausplatz bezeichnete Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher (SPD) die montäglichen Spaziergänge als »Irrweg« und den Gegenprotest als »ganz wichtiges Zeichen«. Selbstverständlich sei es erlaubt, Kritik an den Maßnahmen gegen die Coronapandemie zu üben, aber die Mehrheit der Gießener Stadtgesellschaft sei erkennbar nicht bereit, ihre Toleranz für »Nonsens-Positionen« und »Fake News« herzugeben, sagte Becher. Im Moment sei »nichts wichtiger als Solidarität« und gesellschaftlicher Zusammenhalt. »Das Virus ist unser Gegner, nicht die Wissenschaft, staatliche Institutionen oder die Medien«, betonte der Rathauschef, der den Mitarbeitern von Polizei und Ordnungspolizei für ihren Einsatz dankte.

Becher sprach sich dagegen aus, die Teilnehmer an den Spaziergängen in Gießen pauschal als »Nazis« abzustempeln, er appellierte aber an die Teilnehmer der »Spaziergänge«, sich genau anzuschauen, »hinter welchen Parolen« sie herlaufen. Die Gleichsetzungen der Corona-Maßnahmen mit der NS-Politik und die Inanspruchnahme von Widerständlern gegen das Nazi-Regime wie Sophie Scholl durch die Querdenker-Szene seien »unerträglich«.

Auch die SPD-Landtagsabgeordnete und Gießener Parteivorsitzende Nina Heidt-Sommer ging vor dem Hintergrund des morgigen Holocaust-Gedenktags auf diesen Aspekt ein und sprach von »erbärmlichen und ekligen« Vergleichen. Marco Rasch von der PARTEI wendete sich ebenfalls an die »Spaziergänger« und sagte: »Mitgegangen, mitgefangen.« Der evangelische Dekan André Witte-Karp bekannte sich klar zur medizinischen Wissenschaft. Aus der Coronapandemie führe »kein religiöser oder weltanschaulicher Sonderweg«. Weitere Reden kamen vom DGB-Vorsitzenden Klaus Zecher, Renate von den »Omas gegen Rechts«, Regina Dickey, Vertrauensfrau der Gewerkschaft Verdi am UKGM, sowie von Lena Schmidt aus dem Kreisvorstand der Linken. Für Musik sorgte Kim.

Corona-Demo in Gießen: „Spaziergänger“ wollen Aufmarsch „legalisieren“

Die Versammlung der »Spaziergänger« begann mit einer Überraschung, als sich kurz vor 18 Uhr ein Mann aus Butzbach per Megafon als Anmelder und Versammlungsleiter vorstellte. Mit seiner Anmeldung sei die Demo quasi »legalisiert«. Man wolle der Polizei keinen Anlass mehr für Personalienfeststellungen und die Verhängung von Ordnungsstrafen bieten, erklärte der Butzbacher. Die ordnungsgemäße Anmeldung ermögliche auch die Verbreitung von Inhalten; ein Recht, von dem der Versammlungsleiter während des knapp einstündigen Marschs intensiv Gebrauch machte. Er sprach von einem »Impfdiktat« und einem »gigantischen Menschenversuch« mit unsicheren Impfstoffen. Sie hülfen nur der Pharmaindustrie. »Unsere Gesundheit ist denen egal«, rief der Wetterauer. Später versammelten sich die »Spaziergänger« vor dem Stadttheater.

In Gießen ist der Anmelder in den letzten Jahren bei Veranstaltungen der Universität oder Demonstrationen durch rechtsgerichtete bzw. antisemitische Diskussionsbeiträge aufgefallen.

Direkt trafen die Gruppen nur kurz aufeinander, als die von Polizei begleiteten Impfgegner im Seltersweg durch ein Spalier gingen, das die Unterstützer von »Gießen bleibt bunt« gebildet hatten. Auf deren Pfeifkonzert reagierten die Marschierer, in dem sie sich selbst Beifall klatschten.

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