Chemical-Revolution-Prozess in Gießen: Generalstaatsanwaltschaft fordert hohe Haftstrafen

Geht es nach der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, werden die Köpfe hinter Deutschlands größtem Onlinehandel für Drogen nach dem Urteil am Landgericht Gießen noch lange im Gefängnis sitzen.
Im Prozess um Deutschlands größten Onlinehandel für Drogen, Chemical Revolution, hat die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt ihr Plädoyer gehalten. Deren Vertreterin Lisa Zimmermann forderte am gestrigen Donnerstag in der Außenstelle des Landgerichts Gießen am Stolzenmorgen für die sieben Angeklagten zum Teil hohe Haftstrafen wegen acht konkret nachweisbarer Taten. Besonders bei vier der sieben Männer sah sie den Vorwurf des bandenmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln (BTM) in nicht geringer Menge als erwiesen an.
Prozess um Chemical Revolution in Gießen: Vier Männer als Kern der Bande
Laut Zimmermann hätten sich der Deutsche Daniel B. und Arkadiusz D., ein Niederländer mit polnischen Wurzeln, im Spätsommer 2017 zusammengetan, um den Online-Drogenshop aus der Taufe zu heben. Daniel B., der unter anderem mit dem Pseudonym »Joko« agierte, sei für die Auftragsvergabe, die Drogen-Bestellung, das Marketing, die Internet- und Darknetauftritte sowie für die Geldbeschaffung verantwortlich gewesen. Er habe 10 000 bis 15 000 Euro eingebracht und von zwei stillen, bislang unbekannten Teilhabern weitere 30 000 Euro in Bitcoin erhalten. Für den Ankauf der Drogen soll er Bitcoins an Arkadiusz D. transferiert haben, der diese in Geld umgetauscht und dann die Drogen in den Niederlanden bezahlt habe. Für die Organisation der Transporte sollen sie den Deutsch-Polen Michael G. angeworben haben, für die Lagerung in Ferienwohnungen im Bundesgebiet, das Verpacken und den Versand den Deutschen Matthias B. Den Gewinn habe das Quartett untereinander aufteilen wollen: 35 Prozent für Daniel B., 35 Prozent für Matthias B. sowie 30 Prozent für Arkadiusz D., der die Hälfte seines Anteils an Michael G. abgeben sollte.
Wie Zimmermann betonte, sei der Zusammenschluss dieser vier Männer als Bande zu werten, die mit Drogen in nicht geringen Menge gehandelt hat. Der dafür vorgesehene Strafrahmen bewegt sich zwischen fünf und 15 Jahren Haft. Die Männer seien professionell vorgegangen: Zimmermann nennt die verschlüsselte Kommunikation, Sonderangebote an Weihnachten und die »sehr gute Qualität« der Drogen. Es geht unter anderem um 130 Kilo Amphetamin, 42 Kilo Cannabis, sechs Kilo Kokain und ein Kilo Heroin.
Prozess um Chemical Revolution in Gießen: Zweifel an Aussagen von Angeklagten
Kein Bandenmitglied, aber beteiligt war nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft der Niederländer Youssef E.; er habe auf eigene Rechnung einen Teil der Drogen beschafft und erst spät von der Struktur der Gruppe erfahren. Zimmermann sieht bei ihm den Tatbestand des Handeltreibens mit BTM in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe und Besitz von Drogen in nicht geringer Menge als erfüllt an. Als »Mitläufer« und »Laufbursche« von Michael G. bezeichnete sie den Polen Piotr F., der genauso wie später sein Landsmann Radoslaw S. den Transport der Drogen aus den Niederlanden nach Deutschland übernommen habe. Deshalb wirft ihnen Zimmermann Besitz, unerlaubte Einfuhr und Beihilfe zur Einfuhr von Drogen in nicht geringer Menge vor.
Für Daniel B. sieht Zimmermann die volle Schuldfähigkeit gegeben. Er hatte in seiner Aussage vor allem seine jahrzehntelange Kokainabhängigkeit herausgestellt. Das mutmaßliche Ziel: einem Teil der Haftstrafe zu entgehen und stattdessen in eine Entzugseinrichtung eingewiesen zu werden. Dem erteilte Zimmermann eine Absage. Einen Zusammenhang zwischen den Taten und seinem Kokainkonsum sehe sie nicht: »Er war nicht in Geldsorgen, konnte sich ein extrem kostspieliges Leben auf Mallorca finanzieren.« Vor Gericht habe er keine Angaben zu den aus dem Onlinehandel generierten Geldern gemacht. »Es steht ihm frei, nach der Entlassung auf eigene Kosten eine Therapie anzutreten«, sagte Zimmermann und forderte eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und fünf Monaten.
Arkadiusz D. habe nach seiner Festnahme »umfangreiche Angaben« mit »erheblicher Bedeutung« für die Ermittlungen gemacht. Vieles davon habe sich bestätigt, manches jedoch nicht. Dass der an einer seltenen Krankheit leidende Arkadiusz D. an Chemical Revolution beteiligt war, um sich - wie er sagte - die kostspielige Behandlung leisten zu können, glaubt Zimmermann nicht. Sie verweist auf dessen »protzigen Lebensstil« und »hohe kriminelle Energie«. Dennoch gilt er wegen seiner Erkrankung als nicht haftfähig. Da Zimmermann in ihm aber »mindestens den zweiten Mann« der Bande sieht, forderte sie eine Geldstrafe in Höhe von 115 550 Euro, zahlbar in 700 Tagessätzen je 165 Euro.
Prozess um Chemical Revolution in Gießen: Aussagen gelten als strafmildernd
Matthias B. hatte durch seine umfassende Aussage die Grundlage für den Fahndungserfolg gelegt. Für ihn forderte Zimmermann deshalb eine Gesamtstrafe von vier Jahren und zehn Monaten. Auch das Geständnis von Michael G. sei über den eigenen Tatbeitrag hinaus erfolgt. Er soll nach dem Willen der Generalstaatsanwaltschaft für sieben Jahre und drei Monate in Haft.
Für Youssef E. gilt laut Zimmermann »Im Zweifel für den Angeklagten«: Er habe erst ausgesagt, als alle anderen Angeklagten ihre Einlassung abgegeben hatten, zum Teil die Unwahrheit gesagt und »nicht davor zurückgeschreckt, falsche Dokumente vorzulegen«. Zimmermann plädierte für eine Gesamtstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten. Bei den Drogenkurieren forderte sie außerdem Gesamtstrafen von vier Jahren und zwei Monaten (Piotr F.) sowie von zwei Jahren und zehn Monaten (Radoslaw S.).
Der Prozess wird in der kommenden Woche mit den Plädoyers der Verteidigerinnen und Verteidiger fortgesetzt.
Info: Offene Fragen auch nach Ende des Prozesses um Chemical Revolution in Gießen
Auch nach dem Ende des Prozesses werden viele Fragen offen bleiben. Zum Beispiel nach den stillen Teilhabern, den Lieferanten, zu denen die Angeklagten keine Angaben machten, oder zu den Gewinnen, die Chemical Revolution abgeworfen hat.