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Brötchen backen für die Tonne?

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Von: Sebastian Schmidt

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Hunderte Brötchen werden von »Foodsharing«-Aktivisten vor dem Müll gerettet. © Sebastian Schmidt

Egal ob Traditionsbäckerei, Kette oder Backshop - zum Ladenschluss sind die Regale nur selten komplett leer, denn eine gewisse Überproduktion ist Teil der Kalkulation. Wie viel ist dabei aber von Betrieb zu Betrieb genauso unterschiedlich, wie was mit den nicht gekauften Broten anschließend passiert - ob Mülleimer oder Spende.

Bei einer Verteilaktion von »Foodsharing Gießen« in der Walltorstraße türmen sich die Kisten mit hunderten geretteten Brötchen und Baguettes. Das alles stammt von einem einzigen Samstagvormittag, den die Aktivisten damit verbracht haben, die Lebensmittel von Bäckereien in Gießen einzusammeln, damit sie nicht auf dem Müll landen. Dabei fehlt den Backwaren nichts, sie sind am Samstag noch vollkommen frisch und können selbst am Sonntag noch aufgebacken und gegessen werden. Aber was die Bäckereien und Backshops an einem Tag nicht verkauft bekommen, landet nur in den seltensten Fällen am nächsten Tag wieder in der Auslage - Kunden erwarten eben frische Brötchen. Die Inhaber von Bäckereien müssen also genau kalkulieren, soll nicht zu viel auf dem Müll landen. Aber einige sind auch zur Überproduktion gezwungen: Das liege weniger an der Erwartungshaltung der Kunden, sondern mehr an Vorgaben von Supermarktleitern, erklärt Bernd Braun, Obermeister der Gießener Bäckerinnung.

Kunden sind sensibilisiert

Beschweren sich die Kunden, wenn sie kurz vor Ladenschluss auf eine fast leere Auslage treffen? »Diese Erfahrung mache ich nicht«, sagt Braun. Die Menschen seien heute für das Thema Lebensmittelverschwendung mehr sensibilisiert. »Die sind da anders drauf als noch vor zehn Jahren.« Trotzdem müssen sich die Unternehmer fragen, wie viele Retouren - also nicht verkaufte Backwaren - sie in ihrer Kalkulation in Kauf nehmen. Acht Prozent sei dabei eine angestrebte Kennzahl. »Aber für manche Betriebe ist das auch zu wenig. Die sagen, dann lassen sie zu viel Umsatz liegen.« Also wenn ein Kunde gerade das kaufen möchte, was sonst am Abend ausverkauft wäre.

Und da bei Brötchen und Brot die Materialkosten nur einen geringen Teil des Preises ausmachen, gehe die Rechnung auch mit einer größeren Überproduktion für einige Bäckereien auf, erklärt Braun. Interessanterweise für die großen Backshops weniger als für klassische Bäckereien, wie der Innungsmeister verrät. »Denen tun die Retouren mehr weh.« Denn die Ketten produzieren oft nicht selbst, sondern kaufen Brötchen als TK-Ware zu einem teureren Preis ein, als sie ein Bäcker herstellt.

Filialen, mit einem Verkaufsstand in Supermärkten, haben oft keine Wahl und müssen überproduzieren, erklärt Braun. »Dort gibt es teilweise Vorgaben, dass bis 19 Uhr die Auslage voll zu sein hat.« Die Heuchelheimer Bäckerei Volkmann verkauft ihre Backwaren in mehreren Supermärkten in Gießen, Prokurist Yannik Pauly sagt aber: »Genaue Vorgaben bekommen wir nicht.« Zwar sehen es die Leiter der Supermärkte gerne, wenn die Auslagen bis zum Ende des Tages hin gut gefüllt seien. »Aber wir wollen unsere Retouren so gering wie möglich halten.«

Volkmann versuche deswegen zwar gewisse Produkte immer vorzuhalten, aber die Gesamtauswahl sei am Abend geringer. »Wir haben zum Beispiel für Kunden, die es wünschen, noch Vollkornbrot da. Aber halt nur noch eine Sorte und keine riesige Auswahl mehr.«

Große Container auf dem Hof

Braun sagt, dass solche Kalkulationen den Bäckern heute von Computer-Programmen leicht gemacht werden. Wer nicht gerade eine neue Filiale eröffne, könne sehr genau sehen, was für einen Bedarf es pro Tag gebe. Trotzdem ist es wegen den eingerechneten Retouren die Regel, das Backwaren am Ende des Tages über bleiben. Und es gibt mehrere Arten, wie Bäckereien damit umgehen. Braun sagt: »Ich kenne Kollegen, die haben große Container auf dem Hof stehen.« Es gibt aber auch nachhaltigere Lösungen. »Wenn kein Weizen drin ist, kommt das alte Brot in unsere Sauerteiganlage und sorgt da für den Geschmack.« Aber auch die Tafel oder die Lebensmittelretter von »Foodsharing« kommen Backwaren abholen. »Und wir verkaufen auch noch Vortagsbrot zum halben Preis. Es gibt Kunden die fragen explizit danach.«

Die Lösung, das Brot vom Vortag wieder in den Verkauf zu bringen, verfolgt auch die Bäckerei Volkmann in einer Kooperation mit der Lebenshilfe Gießen. Die Waren, die sie nicht verkaufen konnten, »die aber noch vollkommen in Ordnung sind«, wie Pauly sagt, landen im Vortagslädchen in der Frankfurter Straße. Birte Kuhlmann, die Betriebsleiterin des Vortagslädchen sagt: »In dem Projekt Vortagslädchen wird das Thema Nachhaltigkeit ganz groß geschrieben.« Und das hört nicht mit dem Verkauf der Brötchen auf. »Wir bemühen uns auf allen Ebenen ein nachhaltiges Konzept umzusetzen.« So beziehe das Verkaufslokal auch grünen Strom, und als Alternative zu recyclebaren To-Go-Produkten werde auch das ReCup/ReBowl-Pfandsystem angeboten.

Und wie wird der Laden in der Stadt angenommen? Laut Kuhlmann läuft es immer besser, und so habe es auch bereits Catering-Anfragen gegeben. »Gießen ist ohnehin sehr aufgeschlossen bei dem Thema Nachhaltigkeit.«

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