Brasilianischer Traum

Diese schöne Tradition läuft zum Glück auch unter der neuen Intendanz weiter: Am Samstag gastierte im Stadttheater - wie schon seit vielen Jahren an einem Samstag im Oktober - das auch in Gießen beliebte Jazzorchester des Hessischen Rundfunks, die hr-Bigband.
Wie in jedem Jahr präsentierte die hr-Bigband im Stadttheater Gastsolisten und glänzte mit Arrangements von dessen Kompositionen. Am letzten Wochenende war dies der 30-jährige Gitarrist und Sänger Pedro Martins, dessen Programm einen brasilianischen Traum (»sonho brasiliero«) verhieß. Jim McNeely hat in bewährter Art die Kompositionen Martins’ für die Bigband arrangiert; er dirigierte das 17-köpfige Ensemble und leitete durch den Abend.
Pedro Martins wirkt, als er die Bühne betritt, als käme er direkt von einer Probe der Uni-Jazzband: Turnschuhe, Jeans, T-Shirt mit Comic-Aufdruck und coole Sonnenbrille, die er für eigene Ansagen auch mal abnimmt - vor allem, um sich bei der Zuhörerschaft für deren Kommen zu bedanken.
Dann stöpselt er seine halbakustische Jazzgitarre ein und legt mit »Uma Ideia« los. Mehr als Martins’ Gitarrenspiel erstaunt zunächst sein hoher Gesang, der über weite Strecken gar nicht als Portugiesisch zu erkennen ist: Martins zeichnet mit diesen Vokalisen eher die Hauptmelodien nach.
Das erste und letzte Solo des Abends (abgesehen von der Zugabe) gehört Heinz-Dieter Sauerborn, der mit Sopransaxofon und Flöten entscheidend zum luftigen Klangbild des Abends beiträgt. Martins’ Kompositionen kommen zumeist entspannt mit südamerikanischer Gelassenheit rüber, aber sein Gitarrenstil ist schon Jazz. Er bewegt seine Finger flitzeflink in allen Richtungen über das Griffbrett, pflegt dabei aber immer einen runden, warmen Ton - der am ehesten an Pat Metheny oder Kurt Rosenwinkel erinnert, mit dem er auch schon zusammengearbeitet hat, und der sich sehr schön mit dem von Michael Orenstein gespielten perlenden E-Piano ergänzt. Martins bleibt immer in der Nähe seiner Pedale und des Mikrofons, wendet sich aber oft auch den Musikern der Bigband zu, sodass das Publikum für einen kurzen Moment nur die Rückseite seines T-Shirts sieht. Offensichtlich genießt der junge Gitarrist das Zusammenspiel mit der prima disponierten Bigband sehr. »Venus 13« beginnt mit einem prägnanten E-Piano-Riff und entwickelt sich zu einem vertrackten Stück im 13/8- Takt, »Samba Dolente« hingegen ist eine langsame, entspannte Nummer im reduzierten Bigband-Gewand, die Steffen Weber mit einem gefühlvollen Solo auf dem Tenorsax krönt.
Nach der Pause folgen vier weitere Kompositionen Martins’, die er teilweise speziell für dieses Projekt geschrieben hat. »E se« beginnt mit einem langen Solo der E-Gitarre, und Hans Glawischnig steuert ein herrlich singendes Solo bis in höchste Lagen auf seiner halbakustischen Bassgitarre bei. Heinz-Dieter Sauerborns Flöte beschwört am Ende Bilder eines Schwarms bunter Tropenvögel herauf. Glücklich, wer dabei nicht an die Abholzung der Regenwälder in Pedro Martins’ Heimat denken muss.
Alles in allem ist die Musik an diesem Abend schön, aber wenig spektakulär. Tatsächlich sind es meistens die Soli von Bigband-Mitgliedern, die spontanen Applaus bekommen - etwa Axel Schlosser und Martin Auer (Trompeten) oder Günter Bollmann (Posaune) - oder die gut dosierte Power der Blechblasinstrumente. Der Große Saal ist leider nicht ausverkauft, aber selbstverständlich erklatscht sich das Gießener Publikum eine Zugabe des sympathischen Brasilianers und der brillanten hr-Bigband.