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Botschafter der Kaffeebohne

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Von: Christoph Hoffmann

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Markos Gebreselassie will mit Kaffee nicht nur Geld verdienen, sondern auch den Menschen in Äthiopien helfen. © Oliver Schepp

Markos Gebreselassie hat eine Mission: Er will guten Kaffee unter die Leute bringen und gleichzeitig den Menschen in seinem Heimatland Äthiopien helfen. Doch auch wenn das ostafrikanische Land dem 42-Jährigen viel bedeutet, ist Gießen längst seine Heimat geworden. Hier lebt seine Familie, hier spielen er und seine Söhne Fußball, und hier betreibt er sein Business, das Umsatz und Entwicklungshilfe vereint.

Markos Gebreselassie ist ein Mann des guten Geschmacks. Damit ist weniger sein stilvolles Outfit gemeint, sondern vielmehr seine Leidenschaft für edlen Kaffee. Der Gießener betreibt in der Grünberger Straße oberhalb des Waldstadions das Unternehmen »Kaffee Pura«. »Wir arbeiten mit Kooperativen und Bauernverbänden in Äthiopien zusammen, die ihren Kaffee ohne Zwischenhändler zu uns schicken«, sagt Gebreselassie und spricht von einem Handel auf Augenhöhe. Dieser faire Umgang ist dem 42-Jährigen sehr wichtig. Schließlich ist er selbst in Äthiopien geboren.

Gebreselassie ist in der Hauptstadt Addis Abeba aufgewachsen. Sein Vater arbeitete als Vermessungstechniker für die französische Botschaft, wo die Familie auch wohnte. »Alle Mitarbeiter der Botschaft haben auf dem Gelände gelebt. Dort gab es alles, auch einen Fußballplatz«, sagt Gebreselassie. Sieben Jahre lang war dieser ungewöhnliche Ort sein Zuhause. Dann bezog die Familie ein eigenes Haus in der Hauptstadt. Knapp zehn Jahre später übernahm der Vater ein Projekt in München. Und so wanderte die Familie aus dem Osten Afrikas in den Süden Deutschlands aus.

Kulturschock? Nein, soweit will Gebreselassie nicht gehen. Durch das Leben in der Botschaft sei er eine gewisse Internationalität gewohnt gewesen, außerdem sei die Familie ohnehin viel gereist. »Schwer war die Ankunft trotzdem.« Das habe vor allem an der Sprachbarriere gelegen. Doch Gebreselassie meisterte diese Hürde und fand schnell Anschluss. Als er das Abitur in der Tasche hatte, zog es ihn zum BWL-Studium nach Gießen. Er hatte die Stadt an der Lahn ausgewählt, da er hier die besten Chancen sah, einen Schwerpunkt auf die Ökonomie von Entwicklungsländern legen zu können.

In diese Kategorie fällt Äthiopien zweifellos. Hungersnöte und Kriege haben dem Land zugesetzt, auf Listen der ärmster Länder der Welt ist es regelmäßig vorne platziert. Gebreselassie sieht das jedoch ein wenig differenzierter. »Viele Äthiopier sind Selbstversorger. Das wird aber beispielsweise beim Bruttoinlandsprodukt nicht eingebettet.« Der Stempel »arm« gefalle ihm auch nicht, da die Menschen oft sehr glücklich und familienorientiert seien. »Jedes Mal, wenn ich dort bin, blicke ich in glückliche Gesichter. Die Menschen können sich vielleicht nicht viel leisten, als arm empfinde ich sie aber nicht.« Nichtsdestotrotz gebe es in seinem Heimatland natürlich viele Probleme, sagt Gebreselassie. Mit seiner Arbeit will der 42-Jährige dabei helfen, daran etwas zu ändern.

Schon während des Studiums hat sich Gebreselassie mit der Wirtschaft und Unternehmensgründungen in Entwicklungsländern beschäftigt. Für seine Diplomarbeit reiste er sogar nach Äthiopien und interviewte 500 Studenten zu ihren beruflichen Ambitionen. »Viele wollten gerne ein Unternehmen gründen, ihnen fehlte jedoch Geld und die passende Infrastruktur.« Mit seinem Unternehmen hat es Gebreselassie geschafft, diese beiden Hürden für zumindest einen Teil der Menschen in seinem Heimatland zu senken.

Äthiopien ist der viertgrößte Kaffeeexporteur der Welt. Alleine 40 Prozent der Bohnen gehen nach Deutschland, sagt Gebreselassie. »Das ist hierzulande aber gar nicht sichtbar. Bei Kaffee denken die meisten Menschen an Brasilien, Guatemala oder andere Länder Südamerikas.« Gebreselassie wollte wissen, woran das liegt. Er fand heraus, dass der teure und qualitativ hochwertige Kaffee aus Äthiopien von vielen Röstereien quasi als Gewürz verwendet wird, um qualitativ schlechteren Kaffee geschmacklich aufzuwerten. Um die Bohnen aus seinem Heimatland besser zu vermarkten und auf den internationalen Märkten zu positionieren, gründete er 2011 sein Unternehmen »Kaffee Pura«. Der Name ist Programm: Gebreselassie und sein Team kaufen sortenreinen, äthiopischen Kaffee ein, Teile davon werden in der hauseigenen Rösterei veredelt.

Der Handel ist aber nur ein Teil des Unternehmens. Gebreselassie tritt auch als eine Art Botschafter des äthiopischen Kaffees auf. Er bringt zum Beispiel deutsche Röstereien mit Kooperativen aus seinem Heimatland zusammen. Er sorgt dafür, dass die Bauern aus seinem Heimatland ihre Erzeugnisse direkt und ohne Zwischenhändler verkaufen können, wodurch ihnen mehr vom Kuchen bleibt. »Wir wollen die dortigen Bedingungen verbessern«, betont der Gießener. »Dafür brauchen sie einen besseren Marktzugang zu Amerika, Europa oder Asien.«

Äthiopien spielt nicht nur beruflich eine große Rolle in Gebreselassies Leben. Seine Ehefrau, die in Gießen als Medizinerin arbeitet, hat er vor über 20 Jahren in seiner Heimat kennengelernt. Die beiden haben zwei Söhne, die genauso gerne Sport treiben wie der Vater. »Der kleine spielt Fußball beim FC Gießen. Der große Basketball beim MTV«, sagt der Vater, der das Kicken selbst auf dem Bolzplatz der französischen Botschaft gelernt hat. Joggen und Reisen gehören ebenfalls zu den Hobbies des Gießeners, letzteres natürlich auch wieder nach Ostafrika. In den Osterferien ist es wieder soweit, dann werden ihn auch seine Frau und die Söhne begleiten.

Aber auch wenn es die Familie regelmäßig in die Ferne zieht, verschwendet sie momentan keinen Gedanken daran, ihrem Lebensmittelpunkt den Rücken zu kehren. »Am Anfang, als ich zum Studieren nach Gießen gekommen bin, wollte ich eigentlich schnell wieder weg. Inzwischen ist Gießen aber wie eine zweite Heimat geworden.«

Diesen Sinneswandel durchleben viele Zugezogene. Bei Gebreselassie hat auch die Unterstützung in seiner Gründerzeit dazu beigetragen. Er betont, dass sowohl das Technologie- und Innovationszentrum, die Wirtschaftsförderung, die Sparkasse, die IHK und Wirtschaftspaten beim Aufbau seiner Firma geholfen hätten. »Als neugegründetes Unternehmen konnten wir nur dank dieser Hilfe überleben«, betont Gebreselassie. Von der Unterstützung haben nicht nur Gebreselassie und seine Mitarbeiter profitiert, sondern auch Kaffeebauern in Äthiopien.

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