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»Bitte, noch eine Geschichte!«

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Von: Karola Schepp

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oli_becherlesung_191122_4c © Oliver Schepp

Laut einer Studie lesen rund 40 Prozent der Eltern ihren ein- bis achtjährigen Kindern selten oder nie vor. Dies gelte vor allem für Eltern mit einem geringen Bildungsabschluss. Da ist es umso wichtiger, dass der alljährliche Vorlesetag ausnahmslos allen Kindern Gelegenheit gibt, in Kita, Schule oder auch im Museum in den Genuss einer Vorlesestunde zu kommen.

Am gestrigen Freitag war es wieder so weit.

Schauspielerin Irina Ries sitzt am Freitagnachmittag im Laborraum des Alten Schlosses. Vor ihr liegen bunte Sitzkissen, in ihrer Hand hält sie Kinderbücher. Sie will daraus anlässlich des bundesweiten Vorlesetages lesen. Doch an diesem Nachmittag kommt kein einziges Kind. Das regnerische Wetter, die Uhrzeit an einem Freitagnachmittag - niemand weiß, was der Grund dafür ist. Das Oberhessische Museum, die Stadt und Ries selbst hatten jedenfalls eifrig die Werbetrommel gerührt. Die beiden ehrenamtlichen Museumshelferinnen am Empfang macht das traurig: »Wir hatten uns so sehr darauf gefreut, dass die Kinder in unserer Schicht Leben in die Bude bringen.«

Es scheint so, als ob Vorleseaktionen, wenn sie von Kindergärten oder Schulen organisiert werden, leichter Zuspruch finden, als wenn Eigeninitiative gefragt ist. Am Morgen noch waren eine zweite Klasse der Waldschule in Daubringen und eine vierte Klasse der Launsbacher Grundschule im Alten Schloss, um sich von Irina Ries vorlesen zu lassen. Und das mit großem Vergnügen. Auf Isomatten und Sitzkissen hatten es sich die Kinder gemütlich gemacht und riefen nach einer guten Stunde begeistert: »Bitte, noch eine Geschichte!«

Wer wollte und sich nicht komplett auf das Zuhören konzentrieren musste, konnte parallel dazu eigene Bilder malen oder Vorlagen aus den Büchern farbig ausmalen. Ries erinnert sich noch gut an den Jungen, der ihr anschließend erzählte, dass es ihm auf der Hinfahrt im Bus nicht gut gegangen sei, er sich nun aber dank des Vorlesens wieder richtig wohl fühle. In Erinnerung geblieben ist ihr auch ein anderer Junge, der spontan die Gelegenheit nutzte, noch schnell ein Geburtstagsbild für seinen Opa zu malen.

Beide hörten aufmerksam zu, als Ries die von ihr aus der Literaturliste ausgesuchte Geschichte »Kleiner Löwe, großer Mut« vorlas. Die erzählt von einem dreibeinigen Löwen, der erst auf einen Berg steigen kann, nachdem er sich helfen lässt. Auch die Prinzenhochzeit aus »Märchenland für Alle« war dabei, in dem ein Prinz nicht die ihm angekündigte Braut, sondern lieber den sie begleitenden Prinzen heiraten möchte. Die Reimform sei hier eine besondere Herausforderung gewesen, erzählt Ries. Doch weil aktuell gerade in beiden Klassen Gedichte auf dem Lehrplan stehen, sei den jungen Zuhörern der Zugang leichter gefallen. Und als Beweis trugen alle Kinder ein Gedicht von einem Eichhörnchen vor.

Ries hat beobachtet, dass kleinen Kindern das Zuhören leichter fällt, wenn viel wörtliche Rede vorkommt. »Da konnte ich die Stimmung besser verdeutlichen. Jedesmal wenn ein Geräusch kam, waren sie wieder da«, berichtet sie und hat dafür sogar spontan Passagen in wörtliche Rede übersetzt. Ein guter Tipp für alle, die besonders spannend vorlesen möchten.

Wörtliche Rede und Bilder helfen

Beim Verstehen halfen auch an die Wand projizierte Illustrationen, etwa von »Sulwe«, ein Mädchen mit dunkler Hautfarbe, das durch die Erzählung von den Schwestern Tag und Nacht selbstbewusst wird.

Auch an anderen Orten wurde vorgelesen: Artiom liest ziemlich gern, am liebsten Ninjago oder Pokémon. Beim Vorlesetag in der Georg-Büchner-Schule lauschte er der Erzählung von einer Giraffe, vorgelesen von Stadträtin Astrid Eibelshäuser. Acht Eltern, drei Lehrer, drei Lesepaten vom Verein »Mentor« und weitere Schulangehörige beteiligten sich. Auch Beiträge in Türkisch, Englisch und Ukrainisch waren vertreten. Stellvertretende Schulleiterin Anita Häfner freute sich über die große Bereitschaft der Eltern, sich an der Aktion zu beteiligen. An der Schule gibt es Schüler aus rund 30 Nationen, berichtete Häfner. Den Kindern gefiel die Vorlesestunde offensichtlich sehr. Sie hatten Getränke und Kuscheltiere mitgebracht und lauschten auf Sitzkissen gekuschelt den Geschichten von Prinzessin Lila, den Olchis und Robbi und Tobbi mit dem Fliewatüüt.

Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher las derweil in der AWO-Kita »Helene Simon« aus dem Bilderbuch »Du gehörst zu uns«. Kinder ab vier Jahren konnten zuhören, wenn sie Lust darauf hatten - etwa 20 Kinder hatten das.

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BuechnerSchule_191122_4c © Dagmar Hinterlang
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oli_rieslesung_191122_4c © Oliver Schepp
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khn_lesen2_191122_4c © Kays Al-Khanak

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