Trotz schlechter Nachrichten vom neuen Investor: „Karstädter“ in Gießen geben sich kämpferisch
Langjährige Mitarbeiter von Karstadt erleben in diesen Tagen das dritte Insolvenzverfahren ihres Arbeitgebers. Hoffnungslos wirken die »Karstädter« in Gießen dennoch nicht.
Gießen - 20 bis 30 Menschen stehen am Dienstagmorgen vor dem Haupteingang von Karstadt. Noch ist das Warenhaus geschlossen. Was viele der Kunden nicht wissen: Hinter den verschlossenen Türen werden in diesen Minuten ernste Gespräche über die Zukunft des Hauses geführt - auch darüber, was passiert, wenn das Kaufhaus mit seiner langen Historie tatsächlich der Insolvenz zum Opfer fallen sollte.
Deutschlands letzter großer Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof hatte Ende Oktober zum zweiten Mal innerhalb von weniger als drei Jahren Rettung in einem Schutzschirmverfahren gesucht. Ersten Ankündigungen zufolge will das Unternehmen im Rahmen der Sanierungsbemühungen mehr als 40 seiner verbliebenen 131 Kaufhäuser schließen. Der Handelsriese mit seinen 17 000 Mitarbeitern ist noch in 97 deutschen Städten vertreten.
»Es war gut und wichtig, heute bei den Mitarbeitern zu sein«, sagt Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher nach seiner Teilnahme an der außerordentlichen Mitarbeiterversammlung. Die Belegschaft wolle mit ihrem Einsatz alles dafür tun, dass der Standort erhalten bleibe. »Ich werde auch an die Konzernleitung herantreten und deutlich machen, welch große Rolle ein Warenhaus wie Galeria für die Stadt und die Region spielt«, sagt Becher, der sich anschließend als einer der ersten in die Unterschriftenliste von Verdi einträgt.
Karstadt in Gießen: Gewerkschaft Verdi kämpft für Beschäftigte
Die Gewerkschaft will unter dem Motto »Mein Herz schlägt für Galeria« nicht nur eine Petition an den Konzern übermitteln, sondern auch die Bürger dazu animieren, das Gießener Haus zu unterstützen. »Das Weihnachtsgeschäft steht vor der Tür«, sagt Verdi-Vertreter Manuel Sauer und fordert die Gießener auf, Geschenke nicht beim Onlinegiganten, sondern »im guten alten Karstadt« zu kaufen.
Wie lange es den noch gibt, steht in den Sternen. Sollte die Konzernleitung zu der Entscheidung kommen, die Gießener Filiale zu schließen, würde buero.de-Chef Markus Schön das Haus am Selterstor gerne übernehmen. Doch die Pläne des potenziellen Investors haben einen Dämpfer erhalten, wie er selbst am Dienstagmorgen in einem Schreiben an diese Zeitung verdeutlichte. Demnach habe das Büro des Insolvenzverwalters einen Termin mit der buero.de Handel AG kurzfristig abgesagt. Grund sind Schön zufolge Unstimmigkeiten bezüglich der Vertraulichkeitsvereinbarung.
Demnach habe die Galeria Karstadt Kaufhof GmbH den Entwurf einer Vereinbarung vorgelegt, die buero.de einseitig zur Verschwiegenheit verpflichten sollte. »Dies verwunderte um so mehr, als der Entwurf der Vereinbarung zur Vertraulichkeit vom Galeria Karstadt Kaufhof stammt und buero.de Handel AG nur wünschte, beiden Parteien gleichermaßen Vertraulichkeit zu gewähren«, sagt Vorstandsvorsitzender Schön und fügt an: »Leichter ist es jetzt nicht geworden, aber wir geben nicht auf. Unser Konzept passt, unsere Finanzkraft ist vorhanden, da darf es nicht an formalen Aspekten scheitern. Schließlich stehen über 5500 Arbeitsplätze auf dem Spiel.«
In den vergangenen Jahren wurde viel in den Gießener Karstadt investiert
Vier davon gehören Tim Alexander Klotz und seinen drei Kollegen, die an diesem Morgen ebenfalls vor dem Eingang stehen. Das Karstadt-Quartett arbeitet zusammengenommen über sieben Jahrzehnte in dem alterwürdigen Warenhaus am Selterstor. »Natürlich sind Ängste da«, sagt Verkäufer Klotz. »Aber wenn man schon dreimal in der Scheiße gesessen hat, lässt man das gar nicht mehr so nah an sich heran.« Man sei diesbezüglich schon ein wenig abgestumpft. Seine Kollegen nicken bei diesen Worten.
So ganz können die vier Mitarbeiter nicht verstehen, warum ausgerechnet Gießen auf der Streichliste stehen soll. Dass »ihr« Haus wirtschaftlich deutlich besser dastehe als andere, sei das eine. Klotz erinnert aber auch daran, dass in den vergangenen Jahren viel investiert worden sei und nennt als Beispiele die Rolltreppen, eine neue Großkälteanlage und natürlich die Parkhaus-Sanierung. »Aber wir wissen nunmal nicht, welche Kriterien in die Bewertung einfließen«, sagt Klotz.
Die Verbundenheit zwischen den Mitarbeitern untereinander und mit dem Kaufhaus ist groß. »Hier arbeiten sehr viele Menschen schon länger als 25 Jahre«, sagt einer der Mitarbeiter und fügt an: »Wir sind wie eine Familie.« Die vier Angestellten sagen aber auch, dass sich das Warenhaus wandeln müsse. Mehr Regionalität und eine bessere Verzahnung mit dem Onlinegeschäft seien erste sinnvolle Schritte.

Karstadt in Gießen: »Jede Form von Weiterbetrieb kann nur positiv sein«
Am liebsten wäre es dem Quartett natürlich, wenn ihr Karstadt ein Karstadt bliebe. Beziehungsweise Galeria. Aber auch mit einem Investor Schön könnten sie sich anfreunden. »Jede Form von Weiterbetrieb kann nur positiv sein«, sagt Klotz. Seine Kollegin aus dem Warenservice stimmt zu. »Herr Schön wird sich seine Gedanken gemacht haben.« Und wenn das Warenhaus künftig unter einem anderen Namen laufen würde, wäre das auch zu verkraften, sagt die Karstadt-Mitarbeiterin. »Für die Menschen wird es doch trotzdem Karstadt bleiben. Horten ist auch immer Horten geblieben.« Ihr Kollege denkt dabei pragmatisch: »Es ist egal, welcher Name oben steht. Hauptsache, am Ende des Monats kommt Geld auf das Konto.«
Klotz hingegen sieht das ein wenig differenzierter. »Man identifiziert sich schon sehr mit dem Geschäft. Wir sind alle Karstädter. Natürlich würde es wehtun, wenn der Name verschwinden würde.« Wichtiger sei jedoch, dass ein potenzieller neuer Eigentümer auch alle Mitarbeiter übernimmt. »Wenn die Familie zusammenbleibt«, sagt der Verkäufer Klotz, »dann ist der Name am Ende des Tages doch auch egal.« (Christoph Hoffmann)